Warmwetterlagen werden zum Normalfall
von Markus Seebass
Der Monat August 2016 hat am Potsdamer Telegrafenberg mit einem Wärmeüberschuss von 0,99 Grad Celsius abgeschlossen und damit die bereits seit November 2015 andauernde Wärmephase fortgesetzt. Im vergangenen Jahr war der Oktober der einzige Monat, der mit einem Wärmedefizit von 0,64 Grad nennenswert als „zu kühl“ bezeichnet werden kann. Der Mai 2015 war mit 0,01 Grad zwar auch untertemperiert ausgefallen, doch liegt dies im vernachlässigbaren Bereich (vgl. Statistik 1c). In diesem Jahr lag noch kein einziger Monat unter dem statistischen Mittelwert der Temperaturen (des Zeitraums 1900 – 1999).
Die derzeitige Phase übertemperierter Kalendermonate dauert somit nunmehr schon zehn Monate an. Es ist festzustellen, dass es in den letzten Jahren eine drastische Häufung solcher Warmphasen gegeben hat. Von September 2014 bis April 2015 gab es bereits eine ähnliche Phase wie die andauernde. Diese setzte sich dann nach der Unterbrechung durch den fast ausgeglichenen Monat Mai noch um drei weitere Monate (bis zum September 2015) fort. Eine sehr lange und sehr intensive Warmphase gab es in Potsdam bereits ab September 2006. Diese dauerte sogar zehn Monate an und war mit mehreren extrem stark übertemperierten Einzelmonaten besonders heftig. Sehr lange waren auch die übertemperierten Phasen der Zeiträume Januar – Dezember 1934 und 1953 (beide 12 Monate), doch waren diese weniger ausgeprägt und die Positivabweichung zum Mittelwert war entsprechend deutlich niedriger.
Da über die moderne Klimaerwärmung viel spekuliert wird, sollten wir uns das statistische Verhältnis von Kalt- und Warmmonaten, von extrem über- oder untertemperierten Monaten einmal genauer anzusehen. Ziel sollte eine Prüfung sein, ob die Warmphasen der letzten Jahre in ihrer Dauer und Intensität tatsächlich neu sind oder ob es in Potsdam seit 1893 bereits ähnliche Häufungen gegeben hat.
Zunächst einmal ist festzustellen, dass der Wärmeüberschuss in den letzten zwölf Monaten (von September 2015 – August 2016) am Potsdamer Telegrafenberg (gemessen am Mittelwert des 20. Jahrhunderts) für diese Monate bei 1,85 Grad lag. Der globale Wärmeüberschuss lag im gleichen Zeitraum bei 1,01 Grad. Die letztgenannte Zahl wurde vom US-amerikanischen National Climatic Data Center (NCDC) ermittelt, das die Globaltemperaturen der einzelnen Monate immer mit den Mittelwerten der Jahre 1901 – 2000 vergleicht. Die Zahlen zeigen, dass die Erwärmung in Potsdam und in weiten Teilen Mitteleuropas derzeit wesentlich stärker ist als im globalen Maßstab. Allerdings lag die Positivabweichung in manchen 12-Monats-Zeiträumen noch erheblich höher. Im Kalenderjahr 2014 lag sie bei 2,2 Grad Celsius. Auch im letzten Kalenderjahr 2015 lag sie mit 1,94 Grad etwas über dem derzeitigen Wert. Der Rekord für kalenderjahrübergreifende 12-Monatszeiträume liegt jedoch noch erheblich höher. Im Zeitraum von Juli 2006 bis Juni 2007 kam es gemessen am Mittelwert des 20.Jahrhunderts zu einer Positivabweichung von 3,42 Grad Celsius.
Seit diesem Rekordzeitraum hat es auch wieder erheblich niedrigere Werte gegeben. Um das Jahr 2010 herum gab es sogar nach längerer Zeit eine Negativabweichung (wie auch im Kalenderjahr 2010 selbst). Seit 2014 verharrt der Wärmeüberschuss in jedem möglichen 12-Monatszeitraum jedoch wieder auf vergleichsweise hohem Niveau und entspricht ungefähr den jetzigen Werten.
Vergleicht man die Mitteltemperaturen aller einzelnen Kalendermonate der Jahre 1900 – 1999 mit den entsprechenden Durchschnittswerten desselben Zeitraums, stellt man fest, dass 52,5% all dieser Monate über- und 47,25% untertemperiert waren. Die restlichen Monate (es waren drei) entsprachen genau dem Mittelwert und sind somit keiner dieser Kategorien zuzuordnen. Warum das Verhältnis nicht genau der Relation 50:50 entspricht, ist rasch erklärt. In den Wintermonaten ist eine erheblich größere Spannbreite einzelner Monate bei der Temperatur möglich. Somit können auch die Negativausschläge der Temperatur viel größer ausfallen (was auch geschieht). So stehen in der Quantität weniger Kaltmonate (deren Negativtemperaturabweichung aber wesentlich größer ist) einer größeren Anzahl von Warmmonaten gegenüber (die oftmals aber nur leicht übertemperiert sind). Diese Tatsache führt dazu, dass die Anzahl der überdurchschnittlich temperierten Kalendermonate im 20. Jahrhundert erkennbar höher lag, als die unterdurchschnittlich temperierten. Zu klären wäre somit, ob sich diese Relationen weiter zu Gunsten der Warmmonate verschoben haben – wenn ja, ab wann und in welchem Ausmaß. Damit die Analyse verständlich ist, enthält der Artikel am Schluss eine entsprechende statistische Darstellung.
In der Zeit von 1893 – 1929 dominierten eindeutig die „zu kühlen“ Kalendermonate. In der Dekade von 1900 – 1909 dominierten sie anteilig sogar mit 64,17%. Der Anteil der mäßig bis stark unterkühlten Monate schwankte in dieser Zeit zwischen 40,84% (1910-1919) und 52,5% (1900 – 1909). Der Anteil der mäßig erwärmten bis stark erwärmten Monate schwankte hingegen zwischen 22,5% (1900 – 1909) und 40,83% (1920 – 1929). Die 1920er-Jahre brachten auch eine Kontinentalisierung des Klimas mit sich, da der Anteil der der mäßig bis stark unterkühlten Monate ebenfalls anstieg (45%). Die normal temperierten Monate verringerten sich anteilig auf 14,17%, nachdem sie zwei Dekaden zuvor noch bei 25% gelegen hatte. Ab den 1930er-Jahren überwogen quantitativ die übertemperierten Kalendermonate. Dies ist bis heute so geblieben – mit einer Ausnahme: In den 1970er-Jahren kehrte sich das Verhältnis nochmals um. Die mäßig erwärmten bis stark erwärmten Monate verharrten in den 1930er-Jahren auf (für damalige Verhältnisse) vergleichsweise hohem Niveau (41,67%) während die mäßig bis stark unterkühlten Monate deutlich seltener wurden (29,17%). In den 1940er-Jahren setzte eine Re-Kontientalisierung des Klimas ein. Der Anteil der mäßig bis stark unterkühlten Monate stieg wieder (auf 35,84%) – der Anteil der mäßig erwärmten bis stark erwärmten Monate aber ebenfalls (45,84%). Der Anteil der normal temperierten Monate sank auf 18,33%, verfehlte aber den niedrigen Wert der 1920er-Jahre. Die 1940er-Jahre zeichneten sich auch die einen hohen Anteil extrem untertemperierter Kalendermonate (6,67%) aus. Dieser Wert ist in keiner anderen Dekade mehr erreicht worden. In den 1950er-Jahren „normalisierte“ sich das Klima wieder etwas – der Anteil extremer Monate (sowohl extrem kalter und extrem heißer) sank und die Normalmonate erreichten wieder einen Anteil von 25,00%. Extrem übertemperierter Kalendermonate traten überhaupt nicht auf – ein Umstand, den es zumindest seit dem Jahr 1900 in keiner Dekade davor oder danach mehr gegeben hatte. Die 1960er-Jahre nahmen eine ähnliche Entwicklung wie die 1940-Jahre. Das Temperaturniveau spreizte sich wieder stärker und die normal temperierten Monate gingen anteilig wieder zurück. Der Anteil der mäßig bis stark unterkühlten Monate wuchs jetzt sogar auf 41,67% und übertraf die Werte der 1940er-Jahre. Die mäßig erwärmten bis stark erwärmten Monate sanken anteilig weiter ab auf 39,17% und blieben deutlich unter den Zahlen der 1940er- und 1950er-Jahre.
Wie schon erwähnt, erhöhte sich in den 1970er-Jahren die Gesamtzahl der unter dem Durchschnitt temperierten Kalendermonate nochmals und lag letztmalig quantitativ vor den übertemperierten Monaten (50,0% zu 49,17%, ein Kalendermonat war exakt durchschnittlich temperiert). Allerdings erfolgte ein Trend zur Normaltemperatur (21,67%), während mäßig bis stark unterkühlte Monate wieder seltener wurden (37,5%). Der Trend zur Normaltemperatur setzte sich in den 1980er-Jahren fort (28,33%), während das „erwärmte und das unterkühlte Lager“ unter den Monaten gleich blieb bzw. zurückging (40,83% zu 30,84%). Allerdings überwogen in den 1980er-Jahren bereits wieder die Monate mit einem Temperaturüberschuss (55,83% zu 44,17%).
Wir in Artikel 1 anhand der tatsächlich gemessenen Temperaturen bereits dargestellt, änderte sich in den 1990er-Jahren das Klima grundlegend. Die übertemperierten Kalendermonate dominierten gegenüber den untertemperierten Monaten jetzt mit 60% zu 40%. Diese Tatsache allein stellte noch keinen Rekord dar – hatte der Anteil der Warmmonate in den 1930er- und den 1950er-Jahren immerhin 60,83% erreicht. Allerdings nahm der Anteil der mäßig erwärmten bis stark erwärmten Monate mit 55,84% jetzt stark zu, um in den Jahren von 2000 – 2009 auf 67,5% noch weiter anzusteigen. Beide Werte waren noch in keiner Dekade zuvor erreicht worden. Der Anteil der mäßig bis stark unterkühlten Monate sank jetzt entsprechend kontinuierlich über 25% in den 1990er-Jahren auf 20,83% in den 2000er-Jahren. Beide Dekadenwerte bildeten zu ihrer Zeit jeweils einen Negativrekord. Der Anteil normal temperierter Monate sank in den beiden Dekaden ebenfalls drastisch – über 19,17% (1990er-Jahre) auf 11,67% (2000er-Jahre). Während in den 1990er-Jahren extrem untertemperierte Kalendermonate immerhin anteilig noch zu 3,33% auftraten, reduzierte sich deren Anteil in den 2000er-Jahren auf Null.
In den Jahren 2010 – 2015 erhöhte sich der Anteil der Warmmonate nicht weiter, doch er blieb auf hohem Niveau. Der Anteil der generell übertemperierten Monate verharrte bei 75%. Der Anteil der mäßig bis stark erwärmten Monate sank leicht und lag nun bei 65,28%, während das Kontingent der normal temperierten Monate sich auf den Wert von 18,06% wieder erhöhte. Allerdings sank der Anteil der mäßig bis stark unterkühlten Monate weiter. Lag der in den Jahren von 2000 – 2009 (wie oben bereits dargestellt) noch bei 20,83%, sank er nun weiter auf 16,67%. Lediglich das Kontingent der extrem stark untertemperierten Monate stieg wieder etwas an und lag nun bei 4,17%. Dabei handelte es sich um drei Kalendermonate (Januar und Dezember 2010 sowie der Märzmonat 2013).
Diese Entwicklung zeigt, dass das Temperaturniveau in Potsdam nicht nur linear angestiegen ist, sondern dass es bei den Witterungsabläufen auch wesentlich weniger ausgewiesene Kühlphasen gibt. Vielmehr hat sich ein stabiles Wechselverhältnis zwischen teils mäßig bis stark erwärmten und normal temperierten Witterungsphasen etabliert, bei dem längere Kühlphasen kaum noch eintreten. Wie bereits in früheren Artikel besprochen, liegt die Ursache primär in den veränderten Strömungsmustern, die über Mitteleuropa häufig Warmluftmassen von Süden nach Norden transportieren, während Kaltluftvorstöße in der umgekehrten Richtung wesentlich seltener geworden sind. Noch ungeklärt sind allerdings die Ursachen solcher Strömungsmuster, die sich in der Vergangenheit oftmals über mehrere Jahrzehnte etablieren konnten, um dann relativ kurzfristig von anderen atmosphärischen Zirkulationsstrukturen abgelöst zu werden. Fest steht, dass sich in Potsdam, Deutschland und den größten Teilen Mitteleuropas die weltweite Klimaerwärmung schneller vollzieht als im globalen Maßstab. Die Gründe hierfür sind ebenfalls noch unklar. Sicher ist lediglich, dass sich die seit 1989 andauernde Entwicklung (siehe Artikel 1) einer fortschreitenden Erwärmung abgebremst hat bzw. zum Stillstand gekommen ist. Ob es sich dabei lediglich um eine Erwärmungspause mit einer anschließenden Fortsetzung des Trends oder um den Beginn einer Umkehrung der Entwicklung handelt, bleibt abzuwarten. Angesichts der Tatsache, dass sich die Klimaerwärmung aber weltweit derzeit im Rekordbereich befindet, erscheint die Hoffnung auf eine Trendumkehr derzeit leider unrealistisch.
Markus Seebass
im September 2016
Anmerkungen zum Artikel:
Um den Inhalt des Artikels etwas anschaulicher und verständlicher zu machen, wurden die prozentualen Anteile der Warm- und Kaltmonate in einer Tabelle zusammengefasst, farblich gekennzeichnet und übersichtlich angeordnet. Dabei wurden "extrem stark übertemperierter Monatsmittelwert" und "stark übertemperierter Monatsmittelwert" sowie die Kategorien "mäßig übertempierter Monatsmittelwert" und "moderat übertempierter Monatsmittelwert" jeweils in die beiden Überkategorien "stark erwärmt" und "mäßig erwärmt" eingegliedert. Bei den untertemperierten Monaten wurde analog verfahren. Die "normal temperierten" Monate (weiße Felder) wurden nochmals aufgeteilt in "über- und unterdurchschnittlich temperiert. Diese Aufteilung erschien angesichts der Tatsache, dass viele Kalendermonate zwar „normal temperiert“, aber doch über dem Mittelwert der Temperatur von 1900 - 1999 liegen, sinnvoll. Die Anzahl der über- bzw. unterdurchschnittlichen Kalendermonate (gemessen am Mittelwert der Jahre 1900 - 1999) wurde abseits jeder Klassifizierung auch noch gesondert zusammengezählt (siehe graue Kästchen am Rande der Tabelle).
Eine Legende zur Statistik ist unten nochmals beigefügt.
Achtung:
Bei
der zweiten Stelle hinter dem Komma kommt es gelegentlich zur rundungsbedingten Abweichungen.
In
den 1930er-, 1960er- und 1970er-Jahren gab es jeweils einen exakt
durchschnittlich temperierten Monat. Entsprechend ergeben die Summen aus den
beiden untergeordneten Kategorien der weißen Spalte (Normaltemperatur) nicht
die übergeordnete Gesamtsumme der weißen Spalte (Normaltemperatur). Bei den Angaben zur Über-/Untertemperierung (graue
Spalten) ergeben die Summen nicht 100%
Legenden:
A = über dem Mittelwert
1900 – 1999 B = unter dem Mittelwert 1900 – 1999