Der Winter 2019/20…………
……..hat faktisch gar nicht stattgefunden
von Markus Seebass
Die Kette der Warmwinter will einfach nicht abreißen. Mit dem Winter 2019/20 wurde erneut ein extrem milder Winter verzeichnet, der noch deutlich milder ausgefallen ist als alle Winter der letzten Jahre. Er war nun bereits der neunte Winter in Folge, der statistisch gesehen mit einem Wärmeüberschuss abgeschnitten hat. Mit einer Durchschnittstemperatur von 4,45 Grad lag er 4,34 Grad über der Durchschnittstemperatur eines Winters der Jahre 1900 – 1999 und ist somit erneut als „sehr mild“ zu bezeichnen. Im Wärme-Ranking aller 127 Winter am Potsdamer Telegrafenberg seit Beginn der Aufzeichnung liegt er auf Platz 2. Noch wärmer als der zurückliegende Winter war mit einem Mittelwert von 4,62 Grad lediglich die Winter 2006/07.
In weiten Teilen Nord- und Nordostdeutschland wie z. B. in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern oder Schleswig-Holstein war der zurückliegende Winter sogar der allerwärmste seit Aufzeichnungsbeginn. Auch an den meisten Berliner Meßstationen wurde für den zurückliegenden Winter ein höherer Mittelwert berechnet als im Winter 2006/07.
Dabei waren alle drei Wintermonate deutlich zu warm und können dem Extrembereich zugerechnet werden. Der Dezember 2019 war am Potsdamer Telegrafenberg der neuntwärmste seit Aufzeichnungsbeginn, der Januar der fünftwärmste und der Februar der zweitwärmste.
Auch wenn der Winter 2019/20 in Potsdam nicht der mildeste Rekordwinter war, so ist ihm doch ein „nicht-winterliches“ Alleinstellungsmerkmal eigen: Er ist der erste Winter seit Aufzeichnungsbeginn, in dem keine geschlossene Schneedecke registriert wurde. Das ist ein absolutes Novum. Der bislang schneeärmste Winter 1948/49 brachte es immerhin noch auf eine Schneesumme von einem Zentimeter, die extremen Mildwinter 1974/75 auf sechs Zentimeter, 1988/89 auf 15 Zentimeter, 1989/90 auf zwölf Zentimeter, der Rekord-Mildwinter 2006/07 ebenfalls auf zwölf Zentimeter, 2007/08 auf drei und 2015/16 auf 16 Zentimeter. Betrachtet man bei diesen genannten Mildwintern die gesamte Kaltsaison – also jene Monate wie November oder März, die nicht dem meteorologischen Winter zuzurechnen sind, ist deren Bilanz sogar noch besser und die Diskrepanz zur zurückliegenden Kaltsaison 2019/20 noch größer. Die Kaltsaison 1974/75 kam hier auf zwölf Zentimeter, 1988/89 auf 18 Zentimeter, 1989/90 – trotz des rekordwärmsten Februars - auf 29 Zentimeter, 2006/07 auf 16 Zentimeter und die Saison 2007/08 auf zehn Zentimeter. Die Saisonbilanz 2015/16 war mit 16 Zentimetern identisch mit der Winterbilanz 2015/16 und die Bilanz des extrem schneearmen Winters 1948/49 wurde durch den Monat März noch enorm „aufpoliert“ und betrug schließlich 29 Zentimeter. In der Kaltsaison 2019/20 waren jedoch nicht nur die meteorologischen Wintermonate, sondern auch die Monate Oktober, November und März schneefrei geblieben. Theoretisch wäre eine geschlossene Schneedecke noch bis Anfang Mai möglich (am 01.05.70 wurde am Telegrafenberg mit einem Zentimeter Dicke die „späteste Schneedecke“ seit Aufzeichnungsbeginn registriert), doch standen zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels (01. April) die Prognosen anhaltend nicht „auf Spätwinter“. Die letzte Schneedecke im April wurde im Jahre 2003 registriert. Diese Tatsachen lassen eine späte Schneedecke in der ablaufenden Kaltsaison somit sehr unwahrscheinlich erscheinen.
Temperatur
Im Winter 2019/20 waren alle drei Monate nicht nur deutlich zu mild, sondern der Wärmeüberschuss nahm im Verlauf des Winters auch immer weiter zu.
Während der Dezember mit einem Wärmeüberschuss von 3,32 Grad zu Buche schlug, betrug er im Januar 4,42 Grad und im Februar extreme 5,34 Grad. Dennoch wurden keine Rekorde gebrochen, obgleich der Februar nur noch vom Februar 1990 getoppt wurde, der seinerzeit sogar mit einem Wärmeüberschuss von 6,14 Grad aufwarten konnte.
Dez |
Jan |
Feb |
||
Ds. 1900 - 1999 |
0,71 |
-0,54 |
0,17 |
0,11 |
Winter
2019/2020 |
4,03 |
3,88 |
5,51 |
4,45 |
Abweichung |
3,32 |
4,42 |
5,34 |
4,34 |
Farben: Rosa = überdurchschnittlich temperiert. Blau =
unterdurchschnittlich temperiert
Angaben in Grad Celsius
Die Kältesumme des Winters 2019/20 kann man kaum noch als Summe bezeichnen – sie lag gerade mal bei 1,60 Grad (0,3 Grad im Dezember, 1,3 Grad im Januar). Dagegen mutet der Vorjahreswinter 2018/19 mit einer Kältesumme von 30,91 Grad geradezu wie ein Kaltwinter an (was er aber nicht war, statistisch gesehen sind in allen drei Wintermonaten 164,8 Grad zu erwarten).
In den Wintermonaten 2019/2020 (dazu zählen meteorologisch der Dezember, der Januar und der Februar) wurden 22 Frosttage registriert, also etwa 36 weniger als in einem Durchschnittswinter (1900 – 1999) zu erwarten gewesen wären (58,1 Frosttage). Im Vorjahreswinter waren es immerhin noch 33 Frosttage. Am 26.01.20 wurde am Telegrafenberg der einzige Eistag des Winters registriert – und dadurch hob sich Potsdam von den meisten anderen Meßstationen in Nordostdeutschland noch heraus. In Brandenburg, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern wurde fast nirgendwo ein Eistag registriert, ebenso wie in weiten Teilen West- und Nordwestdeutschlands. Auf Sylt trat noch nicht einmal ein Frosttag auf. In den Flachlandstationen Süddeutschlands wurden zumeist ein bis zwei Eistage registriert. Somit ist dem Telegrafenberg hier zumindest ein Negativrekord erspart geblieben. Einen Winter mit nur einem Eistag hatte es bislang zweimal gegeben – im Winter 1897/98 und im Winter 2006/07. Der Mildwinter 1974/75 brachte immerhin zwei Eistage, der Mildwinter 1989/90 konnte sogar noch mit zwölf Eistagen aufwarten. Zum Vergleich: Im Winter 1962/63 wurden 65 Eistage registriert, was doch eindrucksvoll zeigt, was theoretisch an Kälte möglich ist. In einem durchschnittlichen Winter sind 22,2 Eistage zu erwarten, in einer durchschnittlichen Kaltsaison 24,9 Eistage.
In den Morgenstunden des 02.01.20 wurde mit -3,8 Grad die kälteste Temperatur des Winters registriert – ein „geradezu lächerlich milder“ Wert, der sogar in einem durchschnittlichen Winter in Rom gemessen wird. Schon im Vorwinter lag das Minimum bei nur -7,2 Grad. Das ist für ein Winter-Minimum ebenfalls extrem mild, doch mutet es gegenüber dem diesjährigen Winter-Minimum noch geradezu kalt an. Noch erheblich kontrastreicher fäll ein Blick in die Vergangenheit aus: Am 11.02.29 wurde eine Tiefsttemperatur von -26,8 Grad gemessen, der tiefste jemals am Telegrafenberg gemessene Wert. Im Durchschnitt ist mit solchen Extremwerten nicht zu rechnen, doch bringt es ein Dezember-Monat im Mittelwert der Jahre 1900 – 1999 immerhin auf ein Minimum von -10,4, ein Januar-Monat auf -12,2 und ein Februar-Monat auf -11,0 Grad Celsius. Selbst in einem durchschnittlichen November ist noch von einem Minimum von -5,3 Grad auszugehen, in einem März-Monat von -6,7 Grad Celsius – beides Werte, die im zurückliegenden Winter und der entsprechenden Kaltsaison kein einziges Mal gemessen wurden. Das absolute Minimum der Kaltsaison 2019/20 wurde erst am 30.03.20 mit -5,0 Grad gemessen. Dies ist für März zwar kein sonderlich niedriger Wert, doch ist ungewöhnlich, dass die kälteste Temperatur einer Kaltsaison erst so spät gemessen wird.
Sonnenscheinstunden
Die Sonnenscheinbilanz des Winters 2019/20 war mit 184,5 Sonnenscheinstunden etwas schlechter als die Bilanz des Vorwinters (199,0 Stunden) aber doch noch überdurchschnittlich. Der Mittelwert des 20. Jahrhundert liegt hier bei 167,1 Stunden. Der Dezember und der Januar brachten jeweils mäßige Sonnenscheinüberschüsse, während im Februar nur gut zwei Drittel der durchschnittlichen Sonnenscheinstundenzahl gemessen werden konnte. Der Februar 2020 war damit der „trübste“ Februar seit sieben Jahren und unterschied sich markant von zahlreichen Februar-Monaten der letzten Jahre, die sich besonders sonnenscheinreich gezeigt hatten (2014, 2015, 2018, 2019).
Dez |
Jan |
Feb |
||
Ds. 1900 - 1999 |
42,4 |
53,0 |
71,7 |
167,1 |
Winter
2019/2020 |
56,2 |
77,5 |
50,8 |
184,5 |
Abweichung |
13,8 |
24,5 |
-20,9 |
17,4 |
Farben: Gelb = überdurchschnittliche Sonnenscheindauer Grau
= unterdurchschnittliche Sonnenscheindauer
Angaben in Stunden
Niederschlag
Das Niederschlagsaufkommen des Winters 2019/20 war sehr gleichmäßig verteilt. Während die Monate Dezember und Januar „zu trocken“ waren, wies der Februar mit einer Niederschlagemenge von 84,9 Millimetern einen hohen Überschuss auf. Es fielen ca. 230% der statistisch üblichen Menge. Damit konnte der Februar die Niederschlagsdefizite der beiden Vormonate etwas überkompensieren. Mit einem Gesamtüberschuss von 20,5 Millimetern kann man die Bilanz des Winters 2019/20 aber als „ausgeglichen“ bezeichnen.
Dez |
Jan |
Feb |
||
Ds. 1900 - 1999 |
48,8 |
45,0 |
36,7 |
130,5 |
Winter
2019/2020 |
27,9 |
30,8 |
84,9 |
143,6 |
Abweichung |
-20,9 |
-14,2 |
48,2 |
13,1 |
Farben: Beige
= unterdurchschnittlicher Niederschlag. Grün
= überdurchschnittlicher Niederschlag
Angaben in Millimeter (mm)
Schneefall
Bei der Winterbilanz 2018/19 hatten wir geschrieben, dass dieser wie bereits die Winter der Jahre zuvor, erneut extrem schneearm war - mit weiter abnehmender Tendenz. Dieser Trend hat sich im vergangenen Winter dramatisch fortgesetzt und wird künftig nicht mehr steigerbar sein. Die Schneesumme lag im Winter 2019/20 bei 0 Zentimetern – d. h. es wurde kein einziges Mal eine Schneedecke von mindestens einem Zentimeter gemessen. Der Winter war damit nicht nur schneearm, sondern quasi „schneefrei“. Dies hatte es seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahre 1893 am Potsdamer Telegrafenberg noch nie gegeben. Wenn jetzt nicht im April noch Schnee fallen sollte (womit nach den Prognosen nicht zu rechnen ist), wird auch die Kaltsaison 2019/20 erstmalig seit Beginn der Aufzeichnungen am Telegrafenberg völlig schneefrei bleiben. Statistisch gesehen üblich (bezogen auf den Mittelwert des 20. Jahrhunderts) wäre eine Schneemenge von 32,2 Zentimetern. Betrachtet man nicht nur den meteorologischen Winter, sondern die gesamte Kaltsaison, hätten es im Mittel sogar 43,0 Zentimeter sein müssen.
Da kein Schnee fiel, gab es auch keinen einzigen Schneedeckentag und keinen einzigen Tag mit einem Schneezuwachs von mind. einem Zentimeter.
Auch hier ist der Blick in die Vergangenheit einmal interessant, um zu sehen, was theoretisch möglich wäre. Der Winter 2010/11 brachte eine Schneesumme von 72, der Winter 2009/10 sogar 73 Zentimeter (in diesem Falle hatte die Kaltsaison sogar 80 Zentimeter gebracht). Noch wesentlich schneereicher war der Winter 1969/70, der 113 Zentimeter Schnee brachte. Die gesamte Kaltsaison hatte sogar 167 Zentimeter gebracht, da hier der März 1970 mit 39 und der April 1970 mit 14 Zentimetern die Bilanz weiter aufgebessert hatten. Selbst im Mai 1970 wurde noch eine Schneesumme von einem Zentimeter verbucht. Der 01. Mai 1970 war der einzige Tag in einem Mai seit Aufzeichnungsbeginn, in dem am Potsdamer Telegrafenberg noch eine geschlossene Schneedecke gemessen wurde. Interessant ist die Historie auch bei der Anzahl der Tage mit einer Schneedecke von mind. einem bzw. zehn Zentimetern Dicke: Im Winter 2010/11 wurden hier 40 bzw. 29 Tage gezählt, im Winter 2009/10 sogar 71 bzw. 60 Tage. Im Winter 1969/70 waren es noch deutlich mehr, nämlich 90 bzw. 75 Tage. Die Kaltsaisonwerte waren in der Saison 2010/11 identisch (kein Schnee in Monaten wie November oder März), in der Saison 2009/10 lagen sie bei 74 bzw. 60 Tagen und in der Saison 1969/70 bei 119 bzw. 98 Tagen. Diese Zahlen mag man, angesichts des zurückliegenden „Nullwinters“ gar nicht mehr glauben.
Schlussbetrachtung
Warum war der Winter 2019/20 so wie er war? Was war anders als bei „gewöhnlichen milden Wintern“, die normalerweise ja doch ein oder zwei kalte oder hochwinterliche Phasen aufzuweisen haben – wenn auch nur kurzzeitig.
Die Antwort besteht aus drei Teilen und alle drei Teile zusammengenommen ergeben ein Alleinstellungsmerkmal. Zum ersten ein sehr stabiler und scharf abgegrenzter Polarwirbel, zum zweiten dessen Ausdauer und zum dritten dessen Heftigkeit.
Beim Resümee der milden Winter in den letzten Jahren konnte man immer feststellen, dass diese trotz ihres milden Verlaufs auch immer Potenzial auf wesentlich mehr Kälte gehabt hatten. Beim Winter 2018/19 hatten sich zeitweilig große Kaltluftmassen über Nordosteuropa und dem westlichen Sibirien angesammelt, was für einen Kaltwinter unabdingbar ist. Woran es seinerzeit gefehlt hatte, war die Ingangsetzung einer östlichen Strömungsdynamik. Obgleich die Westdrift durch ein sich aufwölbendes Hoch über dem Nordatlantik immer wieder gestört worden war und somit die Voraussetzungen für Kälte eigentlich nicht schlecht waren, kam eine nachhaltige Ostströmung nicht zustande. Die Wetterentwicklung ist eben oftmals auch von Zufällen abhängig. So gab es im Winter 2018/19 sogar ein starkes Major-Warming-Phänomen, doch kam der Polarwirbel nicht zum Erliegen. Die Kaltluft über Nordostkanada, die für unsere Winter entscheidend ist, blieb bestehen, der milde Jetstream vom Atlantik ebenfalls (der lediglich durch die atlantischen Hochdruckgebiete etwas abgemildert worden war). Zumindest aber war die Temperaturverteilung auf der Nordhalbkugel im Spätherbst 2018 für einen eher meridional geprägten Kaltwinter nicht ungünstig – auch wenn dieser dann doch nicht eingetreten ist.
vgl. Artikel 38 - Der Winter 2018/19 - Ist bis Dreikönig noch kein
Winter, kommt auch keiner mehr dahinter
Im Spätherbst 2019 war die Temperaturverteilung auf der Nordhalbkugel jedoch eine andere, was die Chancen für einen Kaltwinter von vorne herein wesentlich ungünstiger gestaltet hatte. Über Nordosteuropa und dem nördlichen Westsibirien war kaum Kaltluft vorhanden, auch auf der gesamten russisch-sibirischen Festlandsmasse war es wesentlich wärmer als in den Vorjahren. Stattdessen konnte sich bereits im November über der Polarregion ein fast kreisförmiger Polarwirbel etablieren, in dessen Zentrum sich zwar enorme Kaltluftmassen sammeln konnten, die jedoch mangels einer nachhaltigen Trogbildung kaum die Chance hatten, irgendwie nach Süden auszubrechen. Die für milde Winter in Europa typische Kaltluftentwicklung über Nordostkanada, Neufundland und Westgrönland konnte sich hingegen schon frühzeitig mit großer Kraft etablieren und sie führte dann zu der üblichen permanenten Tiefdruckbildung über dem Nordatlantik, die dann Europa fast durchgängig die milde Luft brachte. Vergleichsweise kalt war es in diesem Winter – zumindest im Januar und Februar nur noch in Alaska und im Westen Kanadas. Heftige Kaltlufteinbrüche in den USA, die in den letzten Wintern besonders die großen Seen heimgesucht hatten, gab es diesmal ebenfalls keine, da hierzu gleichfalls meridionale Strömungskonstellationen erforderlich sind (die sich eben nicht einstellten). Auch blieben im zurückliegenden Winter auf der Nordhalbkugel Major-Warming-Phänomene völlig aus, sodass der Polarwirbel sich ungestört etablieren, immer weiter verfestigen und immer weiter steigern konnte.
Doch nicht nur die Ausdauer dieser Wetterentwicklung war bemerkenswert, sondern auch die Wucht der durch diese Konstellation entstandenen Westdrift. Ein Tiefdruckgebiet jagte das nächste und brachte sehr milde Meeresluft bis weit nach Osteuropa hinein. So ist der Potsdamer Wärmeüberschuss für die Wintermonate mit 4,34 Grad Celsius noch moderat, wenn man ihn mit dem der Städte Warschau (5,3 Grad) oder gar Moskau (7,9 Grad) vergleicht. In Paris und London waren die Wintermonate gemessen am langjährigen Referenzwert (1961-90) weniger stark erwärmt (2,9 bzw. 3,2 Grad Celsius) und es zeigt sich damit auch, dass wir es bei der modernen Klimaerwärmung nicht nur mit einer gesteigerten Erwärmung des Nordens gegenüber dem Süden, sondern auch des Ostens gegenüber dem Westen zu tun haben (zumindest in Europa).
Soweit die Umschreibung der Entwicklung der Strömungsmuster im letzten Winter, die zu unserem mitteleuropäischen Mildwinter geführt haben. Doch warum war dies so?
Leider kann die Wissenschaft hier noch keine eindeutigen Antworten geben. Zu komplex ist das System der verschiedenen Strömungsmuster, als dass man es bis heute wirklich verstanden hätte. Es gibt lediglich verschiedene Anhaltspunkte. Eine größere Rolle dürfte die Temperaturverteilung der Ozeane in den nördlichen Breiten spielen. So war der Atlantik südlich von Grönland in den letzten Jahren ungewöhnlich kalt. Auch wenn es nicht abschließend bewiesen ist, könnte sich ein kälterer Nordatlantik begünstigend für die Westdrift und die damit verbundenen mitteleuropäischen Mildwinter auswirken. Auch die geringere Ausdehnung des Polareises während der Sommermonate könnte eine Rolle spielen, da ein Rückgang der damit verbundenen Albedo eine Erwärmung der Polarmeere begünstigt. Allerdings gibt es auch Widersprüche. So ist der Temperaturgegensatz zwischen den nordpolaren und den gemäßigten Breiten in den letzten drei Jahrzehnten eher zurückgegangen – ein Umstand der sich auf die Bildung einer starken Westströmung mit intensiver Bildung von Tiefdruckgebieten eher hemmend als fördernd auswirken müsste. Wirklich gesichert ist lediglich die Erkenntnis, dass milde und kalte Winter tendenziell periodisch auftreten. Extrem kalte oder extrem milde Winter lösen sich nicht direkt ab, sondern es gibt eine Phase milderer oder kälterer Winter, die unter Umständen mehrere Jahre oder sogar Jahrzehnte andauern können. Beispielsweise waren in den 1940er- und 1960er-Jahren die Winter generell mehr auf Kälte gepolt, in den 1970er- oder 1990er-Jahren mehr auf die Zufuhr milder Luftmassen vom Atlantik.
Eine Schätzung, wie lange die derzeitige Phase andauern könnte, ist allerdings unmöglich. Zuviel hat sich in den vergangenen drei Jahrzehnten im Zuge der Klimaerwärmung auch verändert, als dass sich noch irgendwelche Gesetzmäßigkeiten aufstellen ließen. Besonders zugenommen hat die Ausdauer von Großwetterlagen, was sich in Mitteleuropa nicht mehr ausschließlich in den Wintermonaten, sondern inzwischen ganzjährig zeigt. Es spricht somit einiges dafür, dass künftige Winter nach dem „Fallen der Würfel“ im Herbst ihren Charakter dann über die gesamte Saison beibehalten. Das kann in die kalte Richtung gehen, oder wie in den letzten Jahren, in die warme. Aufgrund der modernen Klimaerwärmung ist die letzte Variante allerdings wahrscheinlicher geworden. Dies liegt nicht nur an der Häufung der o. g. Großwetterlagen, sondern auch an der generellen Verschiebung von ganzen Klimazonen von Süd nach Nord, die dazu führt, dass immer häufiger immer größere Mengen subtropische Warmluft in unsere Breiten gelangen.
Allen Freunden kalter Winter sei aber zum Winter 2019/20 doch noch etwas Tröstliches gesagt: Durch den ausdauernden und klar abgegrenzten Polarwirbel konnten zwar kalte Luftmassen kaum nach Süden aber milde Luftmassen auch kaum nach Norden vordringen. Dies war für die Ausbildung der Meereisdecke sehr günstig. Mit einem Ausdehnungs-Maximum von ca. 15,15 Millionen Quadratkilometern war die Fläche so groß wie seit sieben Jahren nicht mehr. Das ist noch kein Grund zur Entwarnung, da die Fläche des mehrjährigen Eises nicht gewachsen und das Eisvolumen derzeit weiterhin rückläufig ist. Aber es ist zumindest eine positive Nachricht. Die Großwetterlagen der kommenden Monate werden zeigen, ob sich auch das Meereisminimum (was im September erreicht wird) wieder steigern oder ob das Ergebnis des zurückliegenden Winters nur ein zufälliges Ergebnis bleiben wird.
Markus Seebass
im April 2020
Achtung:
Die Statistiken 1a, 1c, 2, 3, 12a, 13a, 18, 21 und 23, 24, und 28 beinhalten das für
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