Wird es bei uns immer sonniger?
Der sonnenscheinreiche April 2020 wirft Fragen auf nach einem längerfristigen Trend
von Markus Seebass
Mit dem April 2020 liegt wieder mal ein sehr sonnenscheinreicher April-Monat hinter uns. Mit 316,0 gemessenen Sonnenscheinstunden wurde der bisherige Rekord aus dem April 2009 (299,6 Stunden) noch übertroffen. Mit diesem enorm hohen Wert lag die Sonnenscheinbilanz des zurückliegenden April noch deutlich höher als die eines durchschnittlichen Juni- oder Juli-Monats. Dies ist nicht nur aufgrund der Tatsache bemerkenswert, dass in diesen genannten Sommermonaten üblicherweise eine stabilere Schönwetterlage zu vermuten ist, sondern auch aufgrund der astronomischen Bedingungen, die in den Sommermonaten eine deutlich höhere Sonnenstundenzahl zulassen würde.
Seit einigen Jahren ist zu beobachten, dass gerade in den April-Monaten sehr sonnige und sehr trockene Witterungsphasen auftreten. Doch ist dies ein wirklich belegbarer Trend, oder entspricht das eher einer subjektiven Empfindung? Wie steht es ganz generell mit der Entwicklung der Sonnenscheinstunden? In den letzten Jahren hat sich die Debatte um den Klimawandel auf die Erwärmung der Erdatmosphäre fokussiert. Das ist auch nicht verwunderlich, denn die Erwärmung ist in den meisten Teilen der Welt messbar und spürbar. Die Frage hingegen, ob auch die jährliche Anzahl der Sonnenscheinstunden immer weiter zunimmt, dürfte global jedoch unterschiedlich und somit pauschal nicht so ohne weiteres zu beantworten sein. Daher wollen wir uns bei der Untersuchung dieser Frage auf die Messergebnisse der Säkularstation Potsdam konzentrieren. In den vergangenen Dekaden wurden pro Jahr immer mehr Sonnenscheinstunden im Durchschnitt gemessen. Mit 1901,8 durchschnittlichen Sonnenscheinstunden pro Jahr lag die vergangene Dekade der Jahre 2010 bis 2019 vor allen anderen Dekaden vorne. Während es in den 1940er-Jahren mit durchschnittlich 1848,9 Sonnenscheinstunden pro Jahr bereits einen Höhepunkt gab, erfolgte ab den 1950er-Jahre ein stetiger Rückgang. Ein Tiefpunkt war schließlich in den 1970er-Jahren mit jährlich durchschnittlich 1669,4 Sonnenscheinstunden erreicht. Während es in den 1980er-Jahren nur einen geringfügigen Zuwachs gab (1687,5 Sonnenscheinstunden pro Jahr) steigerte sich das Sonnenpotential im Durchschnitt pro Jahr in den 1990er-Jahren auf 1773,7 Stunden, in den 2000er-Jahren auf 1818,9 Sonnenscheinstunden und in den 2010er-Jahren - wie bereits erwähnt - auf 1901,8 Sonnenscheinstunden pro Jahr im Durchschnitt. Diagramm 1 zeigt somit einen seit den 1970er-Jahren ungebrochenen Steigerungstrend, dem allerdings in den Dekaden zuvor ein Abnahmetrend vorausgegangen war. In den 1940er-Jahren waren die jährlichen Sonnenscheinstunden im Durchschnitt fast genauso hoch wie in der letzten Dekade. Der Dekadenrekord der Jahre 2010 bis 2019 war also knapp und eine Einmaligkeit der Situation lag somit nur bedingt vor.
Diagramm 1 - Durchschnittliche Sonnenscheinstunden pro Jahr in den einzelnen Dekaden
Die Entwicklungslinie der durchschnittlichen Sonnenscheinstunden der April-Monate über die Dekaden hinweg gesehen entsprach der Gesamtjahresentwicklung am allermeisten (siehe Diagramm 2). Auch hier gab es in den 1940er-Jahren bereits einen Höchststand, auf den in den folgenden drei Jahrzehnten ein stetiger Rückgang erfolgte. Nachdem in den 1970er- Jahren die Talsohle mit 158,6 gemessenen Sonnenscheinstunden pro April-Monat erreicht war erfolgte in den nachfolgenden vier Jahrzehnten ein ständiger Aufwuchs. Dieser mündete in der Dekade der Jahre 2010 bis 2019 mit 216,1 gemessenen Sonnenscheinstunden in den April-Monaten in einen Dekadenrekord.
Diagramm 2 - Durchschnittliche Sonnenscheinstunden in den April-Monaten in den einzelnen Dekaden
Die Dekade der Jahre 2010 bis 2019 hält jedoch auch noch bei einigen anderen Monaten den Rekord - auch wenn hier die Entwicklungen zwischen den vorangegangenen Dekaden anders verlaufen ist. In den Februar-Monaten wurden in der zurückliegenden Dekade im Durchschnitt 93,7, in den August-Monaten 243,2 und in den Juli-Monaten 262,9 Sonnenscheinstunden gemessen. In den Juli-Monaten lag die Bilanz der 1990er-Jahre mit 262,3 gemessenen durchschnittlichen Sonnenscheinstunden pro Jahr jedoch fast gleich auf (siehe Diagramme 3 - 5).
Diagramme 3 – 5 - Durchschnittliche Sonnenscheinstunden in den Februar-,den Juli- und den August-Monaten in
den einzelnen Dekaden
In den September-Monaten wurden in der zurückliegenden Dekade im Durchschnitt 185,3 Sonnenscheinstunden gemessen. Hier lagen die 1940er-Jahre mit 194,4 gemessenen Sonnenscheinstunden noch vorne und die 1950er-Jahre mit 185,1 gemessenen Sonnenscheinstunden im Durchschnitt nur geringfügig dahinter (siehe Diagramm 6).
Diagramm 6 - Durchschnittliche Sonnenscheinstunden in den September-Monaten in den einzelnen Dekaden
In den Juni-Monaten wurden in der zurückliegenden Dekade pro Jahr im Durchschnitt 259,8 Sonnenscheinstunden gemessen. Das entspricht dem dritten Rang - hier hatten die 1930er- Jahre mit 267,0 Sonnenscheinstunden und die 1960er-Jahre mit 261,6 Sonnenscheinstunden pro Juni-Monat noch „die Nase vorn“ (siehe Diagramm 7).
Diagramm 7 - Durchschnittliche Sonnenscheinstunden in den Juni-Monaten in den einzelnen Dekaden
In den Monaten März, Oktober und November lag die Dekade der Jahre 2010 bis 2019 immer jeweils auf dem fünften Platz, im Mai auf dem sechsten. Generelle Entwicklungslinien lassen sich rückblickend hier nur schwer ausmachen. Während z. B. bei den November-Monaten die 1920er-Jahre mit Abstand die sonnenscheinreichsten waren, waren dies bei den Oktober-Monaten die 1940er-Jahre (die 1920er-Jahre folgten allerdings dicht darauf). Bei den Mai-Monaten zeigen sich die 1910er-Jahre als die sonnenscheinreichsten während es bei den März-Monaten mit großem Abstand die 1950er-Jahre waren in (Diagramme 8 bis 11). Doch auch bei diesen genannten Monaten lag die Sonnenscheinbilanz der zurückliegenden Dekade immer noch höher als die Durchschnittswerte des 20. Jahrhunderts oder jener des gültigen Referenzzeitraum der Jahre 1961 bis 1990.
Diagramme 8 – 11 - Durchschnittliche Sonnenscheinstunden in den März-,den Mai-, den Oktober- und den November-
Monaten in den einzelnen Dekaden
Lediglich bei den Dezember-und den Januar-Monaten zeichnete sich ein ganz anderer Trend ab. In den Dezember-Monaten wurden im Durchschnitt in der vergangenen Dekade pro Jahr lediglich 39,1 Stunden und bei den Januar-Monaten 43,7 Stunden gemessen. Beide Werte lagen unterhalb der Mittelwerte des 20. Jahrhunderts sowie der Referenzwerte der Jahre 1961 bis 1990 für diese Monate, die Januar-Werte sogar ganz erheblich. Während der Dezember-Wert lediglich der fünftniedrigste Dekadenwert war, lag der Januar-Wert für die Jahre 2010 - 2019 sogar an allerletzter Stelle.
Diagramme 12 – 13 - Durchschnittliche Sonnenscheinstunden in den Dezember- und den Januar-
Monaten in den einzelnen Dekaden
Was ist daraus zu schlussfolgern? Die Frage, ob es im Raum Potsdam in den letzten Jahren wirklich immer sonniger wurde und wird, kann aufgrund der Beobachtungen und Messungen der letzten Jahrzehnte – bezogen auf die Gesamtjahre - eindeutig mit „ja“ beantwortet werden. Ja, seit den 1970er-Jahren gab es in jeder Dekade eine Steigerung der Sonnenscheinstunden gegenüber der Vorgängerdekade. In der letzten Dekade der Jahre 2010 bis 2019 wurde sogar der bisherige Dekadenrekord der 1940er-Jahre übertroffen. Schaut man sich die Einzelmonate an, ist die Entwicklung tendenziell ähnlich aber nicht identisch. Die größte Übereinstimmung mit der Gesamtjahresbetrachtung besteht noch bei den April-Monaten. Bei denen ist gleichfalls seit den 1970er-Jahren eine permanente Steigerung der Sonnenscheinstunden aufgetreten. Bei anderen Monaten gab es in den vergangenen Jahrzehnten ebenfalls Steigerungen, auch wenn in der letzten Dekade noch kein Rekord verzeichnet werden konnte. Bei einigen der Monate lag die zurückliegende Dekade allerdings auch nur im Mittelfeld, doch bei immerhin zehn der zwölf Monate lagen die Sonnenscheinstunden im Durchschnitt in den Jahren 2010 bis 2019 über dem Mittelwert des 20. Jahrhunderts und über dem in der Meteorologie gängigen Referenzwert der Jahre 1961 bis 1990. Eine Ausnahme bilden die Monate Dezember und Januar. In den Dezember-Monaten der Jahre 2010 bis 2019 gab es im Durchschnitt weniger Sonnenscheinstunden als in den Dezember-Monaten des gesamten 20 Jahrhunderts. Im Januar war dies ebenso. Hier lag der Mittelwert aller Januar-Monate der Jahre 2010 bis 2019 sogar unter den Mittelwerten der Januar-Monate aller früheren Dekaden.
In der Gesamtbetrachtung ist festzustellen: Tendenziell nehmen in fast allen Monaten (außer im Dezember und im Januar) die Sonnenscheinstunden zu. Aufgrund der hohen Zuwächse in einigen Monaten wie z. B. den Februar-, den April-, den Juli- und den August-Monaten ist die Sonnenscheinstundenbilanz der letzten Dekade insgesamt höher als in allen vorangegangenen. Auch bei den Monaten, bei denen keine Dekadenrekorde verzeichnet werden konnten, lag die Bilanz der letzten Dekade stets im oberen Mittelfeld. Nur bei den Monaten Dezember und Januar war dies nicht so. Die Ursache in dieser Entwicklung ist in veränderten Großwetterlagen zu suchen. Gerade in den April-Monaten dominierten in den letzten Jahren häufig Hochdruckgebiete, die zumeist auch über längere Zeiträume erhalten blieben. Dies war zuletzt im April 2020 eindrucksvoll der Fall, der in unsere statistische Betrachtung noch nicht einmal eingeschlossen ist. Auch in den Sommermonaten der vergangenen Jahre dominierten häufig langlebige Hochdruckwetterlagen, die sich positiv auf die Sonnenscheinbilanzen ausgewirkt haben. Über die Gründe der Langlebigkeit von Großwetterlagen haben wir uns bereits in den Artikeln 39 – 41 geäußert. Auch die Ergebnisse der Dezember- und Januar-Monate ist den dominierenden Großwetterlagen in den Wintern der letzten Jahre geschuldet. Hier hatten sich verstärkt tiefdruckdominierte Westwetterlagen etablieren können, die naturgemäß wenig Sonnenschein zulassen. Somit korrespondieren die gemessenen Zuwächse bei der Sonnenstundenzahl pro Jahr durchaus mit den beobachteten Großwetterlagen der letzten Jahre und Jahrzehnte. Ein weiterer Faktor für das „immer sonniger werdende Wetter“ dürfte auch die verbesserte Luftreinhaltung sein, in deren Folge weniger Staubstoffe und Schwebeteilchen in die Atmosphäre gelangten und somit die Nebel-und Hochnebelbildung erschwert wurde. Auch diese Faktoren dürften die Tendenz zum verstärkten Sonnenschein begünstigen. Im Gegensatz zur globalen Erwärmung dürfte der Trend einer Steigerung des Sonnenscheins jedoch nicht global, sondern auf bestimmte Regionen der Welt beschränkt sein. Die dominierenden Großwetterlagen der letzten zwei bis drei Jahrzehnte haben Europa hier erheblich begünstigt. In anderen Regionen der Welt kann es aber durchaus auch zu einer Verminderung der Sonnenscheinstunden im Jahr kommen oder schon gekommen sein. Für diese Annahme spricht die Tatsache, dass der globale Wasserhaushalt und die weltweite Wolkenbildung in kurzfristigen Zeiträumen keinen wesentlichen Veränderungen unterliegen.
Wie wird es weitergehen? Ähnlich wie die Erwärmungstendenz ist auch die Tendenz zu „mehr Sonnenschein“ maßgeblich von den künftigen Großwetterlagen abhängig. Während aber eine weitergehende Steigerung der Wärme global durchaus möglich (und leider auch nicht ganz unwahrscheinlich) ist, wird es weltweit nicht mehr Sonnenschein geben. Hier gibt es lediglich eine Verschiebung zwischen den Regionen der Welt aber keine (wesentliche) Änderung insgesamt. So ist es nicht unwahrscheinlich, dass der Trend zu immer mehr Sonnenschein in Deutschland und Mitteleuropa irgendwann an sein Ende kommt. Eine Verfestigung des derzeitigen Niveaus der hohen Sonnenscheinstunden, verbunden mit niedrigeren Niederschlägen durch atmosphärische Strömungsmuster, die durch die globale Erwärmung begünstigt werden, ist allerdings nicht auszuschließen.
Markus Seebass
im Mai 2020