Der neue Referenzwert ist da

Der neue 30jährige Mittelwert macht das Ausmaß der modernen Klimaerwärmung deutlich.

 

von Markus Seebass

 

Wir hatten uns an ihn schon gewöhnt: Den statistischen dreißigjährigen Mittelwert in der Meteorologie. Der amtliche Durchschnittswert der Jahre 1961 bis 1990, mit dem alle klimatologischen Daten, die in der Gegenwart zu messen sind, verglichen werden. Dieser Mittelwert stellt noch eine Rückschau auf eine andere Zeit dar: Die Zeit vor der modernen Klimaerwärmung, die seit 1989 erheblich an Fahrt aufgenommen hat. Doch mit der Jahreswende sind nun wiederum 30 Jahre vergangen und somit gilt jetzt ein neuer klimatologischer Referenzwert: Der Durchschnitt aus den Jahren 1991 bis 2020. Mit diesem neuen Referenzwert wird das Ausmaß der modernen Klimaerwärmung erst richtig deutlich.

In den vergangenen Artikeln hatten wir uns bereits mehrfach mit den Unterschieden zwischen den einzelnen Dekaden hinsichtlich der Temperatur, der Sonnenscheinstunden und des Niederschlags befasst. Auch hier waren die Unterschiede oftmals sehr ausgeprägt und sehr eindrücklich, doch die Dekadenwerte sind schlussendlich nicht offiziell, sondern vielmehr eine kurzfristige Betrachtung. Zehn Jahre sind für belastbare Aussagen hinsichtlich einer Veränderung in unserem Klima einfach ein zu kurzer Zeitraum. Daher hat sich in der Meteorologie der 30jährige Zeitraum etabliert. Schauen wir uns die Veränderungen zwischen der bisher gültigen und der neuen Referenzperiode anhand der Temperatur- der Sonnenscheinstunden- und der Niederschlagsentwicklung einmal genauer an.

 

Temperaturentwicklung

Zeiträume:

Jan

Feb

März

April

Mai

Juni

Juli

Aug

Sept

Okt

Nov

Dez

Temp. (C):

1900 - 1999

-0,54

0,17

3,63

8,11

13,33

16,47

18,21

17,36

13,81

8,94

3,86

0,71

8,71

1961 - 1990

-0,80

0,22

3,68

8,05

13,27

16,65

17,97

17,42

13,85

9,36

4,25

0,69

8,76

1991 - 2020

0,71

1,66

4,73

9,92

14,24

17,49

19,43

18,93

14,54

9,56

4,83

1,72

9,86

Differenz:

1,51

1,44

1,05

1,87

0,97

0,84

1,46

1,51

0,69

0,20

0,58

1,03

1,10

 

Der Jahresmittelwert der Temperatur hat sich zwischen den Referenzperioden von 1961 bis 1990 und der von 1991 bis 2020 von 8,76 Grad auf 9,86 Grad erwärmt. Das ist eine Steigerung von 1,1 Grad. Von der Erwärmung sind allerdings die einzelnen Monate sehr unterschiedlich betroffen. Besonders stark erwärmt haben sich die Monate Januar (1,51 Grad), April (1,87 Grad) und August (1,51 Grad). Die April-Monate weisen die stärkste Erwärmung auf. Eine vergleichsweise moderate Erwärmung hat es hingegen in den Monaten Mai (0,97 Grad), Juni (0,84 Grad), September (0,69 Grad), Oktober (0,20 Grad), und November (0,58 Grad) gegeben. In den Oktober-Monaten war die Erwärmung mit 0,20 Grad am geringsten. Festzuhalten ist jedoch, dass alle Monate mehr oder weniger stark von der Temperaturerwärmung betroffen sind und die Frühlingsmonate tendenziell stärker betroffen sind als die Herbstmonate.

 

 

Entwicklung der Sonnenscheinstunden

 

Zeiträume:

Jan

Feb

März

April

Mai

Juni

Juli

Aug

Sept

Okt

Nov

Dez

(h):

1900 - 1999

53,0

71,7

130,3

171,2

231,1

232,7

233,0

213,3

167,4

115,0

54,4

42,4

1715,6

1961 - 1990

47,1

73,6

124,1

168,2

227,0

231,1

231,9

220,2

161,3

114,4

54,0

39,3

1692,2

1991 - 2020

55,4

80,7

131,0

204,7

236,3

241,5

250,0

236,9

174,6

123,0

59,0

45,3

1838,3

Differenz:

8,30

7,10

6,90

36,50

9,30

10,40

18,10

16,70

13,30

8,60

5,00

6,00

146,10

 

Die Steigerung zwischen den beiden oben genannten Referenzperioden hinsichtlich der Anzahl der pro Jahr im Durchschnitt gemessenen Sonnenscheinstunden ist ebenfalls beachtlich. Im Zeitraum der Jahre 1961 bis 1990 wurden jährlich durchschnittlich 1692,2 Sonnenscheinstunden gemessen. Im Referenzzeitraum der Jahre 1991 bis 2020 steigerte sich diese Zahl auf 1838,3 Sonnenscheinstunden pro Jahr. Die Erhöhung liegt bei 146,1 Stunde pro Jahr im Durchschnitt. Von einer Steigerung waren alle Monate betroffen, jedoch in unterschiedlichem Ausmaß. Die Monate Januar, Februar, März, Mai, Oktober, November, und Dezember waren am geringsten betroffen, hier blieb die Steigerung unter 10 Stunden im Durchschnitt. Die November-Monate hatten mit einer Erhöhung von 5,0 Stunden im Jahr die geringste Steigerung. In den übrigen Monaten bewegte sich die Erhöhung der Durchschnittswerte zwischen 10 und 20 Stunden. In den Juli-Monaten war die Erhöhung mit 18,1 Stunden besonders ausgeprägt. Eine große Ausnahme bilden jedoch die April-Monate. Hier gab es eine Steigerung von 36,5 Stunden. Diese Erhöhung stimmt mit anderen Beobachtungen überein, nach denen die April Monate auch die stärkste Erwärmung aufzuweisen haben.

 

Niederschlagsentwicklung

 

Zeiträume:

Jan

Feb

März

April

Mai

Juni

Juli

Aug

Sept

Okt

Nov

Dez

(mm):

1900 - 1999

45,0

36,7

35,9

42,5

51,5

64,1

66,5

64,2

45,2

42,0

45,0

48,8

587,3

1961 - 1990

44,3

38,1

38,4

44,6

56,3

69,8

52,4

60,9

45,6

35,8

47,8

56,0

589,9

1991 - 2020

48,3

38,6

40,9

29,6

53,7

61,1

77,0

59,3

47,0

43,7

44,5

48,5

592,3

Differenz:

4,00

0,50

2,50

-15,00

-2,60

-8,70

24,60

-1,60

1,40

7,90

-3,30

-7,50

2,40

 

Bei den Niederschlägen halten sich die Veränderungen zwischen den beiden Referenzperioden der Jahre 1961 bis 1990 und der der Jahre 1991 bis 2020 in Grenzen. Dies mag überraschen, da in der Presse doch in den vergangenen Jahren häufig von Dürren und erheblichen Niederschlagsdefiziten zu lesen war. Allerdings ist hier auch zu bedenken, dass ein größerer Teil der jährlichen Niederschläge im Sommer in Form von Gewitterregen fällt. Gewitter jedoch sind regionale Ereignisse, die punktuell sehr viel Regen bringen können, aber keinen flächendeckenden Niederschlag gewährleisten. So sind im Land Brandenburg von der Dürre größere Landstriche betroffen, während sich in Potsdam die Rückgänge beim Niederschlag bisher in Grenzen hielten. In den Jahren 1961 bis 1990 wurden pro Jahr im Durchschnitt 589,9 mm Niederschlag gemessen, in der Folgeperiode waren es dann 592,3 mm. Es gab also sogar eine geringfügige Steigerung von 2,4 mm pro Jahr. Betrachtet man allerdings die einzelnen Monate, dann stellt man fest, dass es hier sowohl Niederschlagszuwächse als auch Niederschlagsrückgänge zu verzeichnen gab. Zuwächse gab es bei den Januar-, den Februar-, den März-, den Juli-, den September-und den Oktober-Monaten. Zumeist waren die Steigerungen relativ gering, lediglich in den Juli-Monaten fielen sie mit 24,6 mm stärker aus. Bei den übrigen Monaten war die Niederschlagsentwicklung rückläufig, zumeist jedoch in moderatem Maße. Der Rückgang lag meistens bei weniger als 10 mm. Eine Ausnahme waren die April Monate. Hier gab es einen Rückgang von 15 mm je April-Monat eines Jahres zu verzeichnen.

 

Fazit

Wie bereits in vorangegangenen Artikeln festgestellt, vollzieht sich der moderne Klimawandel hinsichtlich der Temperatur- und der Sonnenscheinentwicklung wesentlich beeindruckender als beim Niederschlag. In letzterer Kategorie war die Entwicklung bisher einigermaßen kontinuierlich verlaufen, während die Temperaturen signifikant angestiegen sind und sich die Sonnenscheinstunden deutlich erhöht haben. Dies ist zunächst einmal positiv, da die Niederschlagsentwicklung langfristig maßgeblich ist für die Trinkwasserversorgung der Region Berlin-Brandenburg. Die Änderungen bei der Temperatur und beim Sonnenschein haben bisher noch zu keiner nennenswerten Änderung der Lebensverhältnisse der Menschen in dieser Region geführt. Dies könnte sich jedoch ändern, wenn die Niederschläge - wie oftmals befürchtet – flächendeckend stark zurückgehen würden. Diese Entwicklung ist für die Zukunft keineswegs auszuschließen, da mehr Wärme und mehr Sonnenschein langfristig meistens auch mit einer größeren Trockenheit einhergehen. Im Artikel 48 – Jahresrückblick 2020

http://www.das-klima-in-potsdam.de/Artikel%2048%20-%202020%20-%20Jahresr%C3%BCckblick.pdf

haben wir wie bereits in zahlreichen Artikel zuvor über die möglichen Ursachen diese Entwicklung geschrieben. Die Hauptursache dürfte in den veränderten atmosphärischen Zirkulationsmustern in Europa liegen. Ob dieses sich in absehbarer Zeit wieder ändern werden, ist jedoch ungewiss, sodass auch die weitere Entwicklung der drei untersuchten Parameter bisher nicht absehbar ist.

 

Eine abschließende Bemerkung zum neuen Referenzwert

Wie bereits erwähnt, ist es in der Meteorologie üblich, von einem dreißigjährigen Referenzwert auszugehen und diesen mit aktuellen klimatologischen Daten zu vergleichen. Der Durchschnittswert der Jahre 1991 bis 2020 wird fortan der offizielle Referenzwert des Deutschen Wetterdienstes sein. Er hat somit den alten Wert der Jahre 1961 bis 1990 abgelöst. In unseren Artikeln und Statistiken werden wir in dieser Webseite jedoch weiterhin vom Mittelwert des 20. Jahrhunderts, also von den durchschnittlichen Daten der Jahre 1900 bis 1999 ausgehen (die den Werten der Jahre 1961 – 1990 vergleichsweise ähnlich sind). Der Grund ist einfach: Sollten jetzt nur noch Vergleiche mit dem neuen Referenzwert gezogen werden, würde dies das Bild erheblich verfremden. Die bereits stattgefundenen Klimaveränderungen würden nicht mehr hinreichend deutlich werden. Dies gilt insbesondere bei den Entwicklungen der Temperatur. Ein Monat der nach dem alten Referenzwert als "erheblich zu warm" bewertet werden müsste, würde nach dem neuen Referenzwert als durchschnittlich oder sogar als "zu kalt" eingestuft werden müssen. Damit würde das bereits stattgefundene Ausmaß der Klimaerwärmung jedoch nicht hinreichend deutlich werden. Daher halten wir uns weiter an den hundertjährigen Mittelwert, den wir auch bisher schon als Vergleichsbasis herangezogen haben. Bei privaten Wetterdiensten ist es ohnehin üblich, abseits der offiziellen Referenzgrößen eigenständige Vergleichswerte heranzuziehen. So ist beispielsweise "Wetteronline" bei Stellungnahmen zum Thema schon lange von den Durchschnittswerten der Jahre 1981 bis 2010 ausgegangen. Eine dauerhafte Vergleichsbasis, die nicht periodisch ausgewechselt wird, erscheint uns hingegen sinnvoller und aussagekräftiger. Daher werden in unseren künftigen Artikeln, Statistiken und Analysen weiterhin die Jahre 1900 bis 1999 den Vergleichsmaßstab bilden.

Der Deutsche Wetterdienst hat übrigens in diversen Presseverlautbarungen auch schon erklärt, zumindest in seinen Kommentierungen den alten Referenzwert weiterhin heranzuziehen, wenn das für den jeweiligen Aussagegehalt relevant sein sollte.

 

Markus Seebass

im März 2020