Der Winter 2020/21
Das Zeitalter richtig kalter Winter dürfte wahrscheinlich vorbei sein
von Markus Seebass
Und wieder ein milder Winter. Mit dem Winter 2020/21 wurde erneut ein übertemperierter Winter verzeichnet, aber er war deutlich kälter als die drei vorangegangenen. Mit einer Durchschnittstemperatur von 1,49 Grad nahm er sich gegenüber dem vorangegangenen extremen Warmwinter 2019/20 (4,45 Grad) geradezu kalt aus. Er lag aber 1,38 Grad über der Durchschnittstemperatur eines Winters der Jahre 1900 – 1999 und ist somit als deutlich „zu warm“ zu bezeichnen. Im Kälteranking aller 128 Winter am Potsdamer Telegrafenberg nimmt er den 90. Platz ein – also doch recht weit unten.
Der Winter 2020/21 war in ganz Deutschland erheblich zu mild ausgefallen. Es gab allerdings ein deutliches Südwest-Nordost-Gefälle, das heißt im Südwesten war die Positivabweichung der Temperatur erheblich höher als im Nordosten. Der Grund hierfür war eine Zweiteilung des Wetters hinsichtlich der Temperatur über Deutschland, die über längere Zeit mäßig ausgeprägt war und sich in der ersten Hälfte des Februars dann besonders markant gesteigert hat. Spektakulär war die Entwicklung dann im Monat Februar. Hier setzte zum Monatsbeginn ein kräftiger Kaltlufteinbruch ein, der sich im Norden und der Mitte Deutschlands rasch durchsetzen konnte. Dieser wurde begleitet von starken Schneefällen, Sturm und regional auch Blitzeis. Dabei wurde es in der Mitte Deutschlands besonders kalt und in mehreren Städten wie z. B. in Erfurt oder in Göttingen wurde die -20-Grad-Hürde deutlich unterschritten. Im Norden und Nordosten wurde es ebenfalls kalt, doch nicht so extrem, während sich im Süden und Südwesten Deutschlands die Kaltluft nur sehr zögerlich und nur kurzzeitig durchsetzen konnte. Der Kaltphase folgte in der zweiten Februar-Dekade ein krasses Kontrastprogramm in Form einer extrem milden Phase, die in weiten Teilen Deutschlands Temperaturen von über 20 Grad und viele neue Wärmerekorde (für den Monat Februar) brachte. Besonders markant war der Temperaturanstieg beispielsweise in Göttingen, wo dieser innerhalb weniger Tage bei über 40 Grad lag. Am Telegrafenberg wurde am 24.02.21 mit 19,9 Grad ebenfalls ein neuer Wärmerekord für den Monat Februar (und für alle Wintermonate überhaupt) registriert. Damit wurde der alte Rekordwert vom 21.02.90 (18,8 Grad) um 1,1 Grad übertroffen und ein „warmer Tag“ nur knapp verfehlt. Die anderen beiden Wintermonate Dezember und Januar waren zwar statistisch gesehen ebenfalls zu warm, aber insgesamt unauffällig. Doch schauen wir uns den Winter einmal genauer an:
Temperatur
Im Winter 2020/21 waren alle drei Monate zu mild ausgefallen, doch waren die Überschüsse im Januar und Februar einigermaßen moderat. Nur im Dezember tat sich der Winter schwerer und der Wärmeüberschuss betrug immerhin über 2 Grad Celsius.
Dez |
Jan |
Feb |
||
Ds. 1900 - 1999 |
0,71 |
-0,54 |
0,17 |
0,11 |
Winter
2020/2021 |
2,94 |
0,64 |
0,84 |
1,49 |
Abweichung |
2,23 |
1,18 |
0,67 |
1,38 |
Farben: Rosa = überdurchschnittlich temperiert. Blau =
unterdurchschnittlich temperiert
Angaben in Grad Celsius
Die Kältesumme des Winters 2020/21 lag bei 91,90 Grad – ein Wert, der sich gegenüber dem Wert des Vorwinters (1,6 Grad) wahrlich extrem ausnimmt. Immerhin ist es die höchste Kältesumme seit dem Winter 2012/13 und sie wurde zu über zwei Dritteln in der Kaltphase des Februars ausgebildet. Ein Kaltwinter war es aber bei weitem nicht, denn statistisch gesehen sind in allen drei Wintermonaten durchschnittlich 164,8 Grad zu erwarten.
In den Wintermonaten 2020/2021 (dazu zählen meteorologisch der Dezember, der Januar und der Februar) wurden 44 Frosttage registriert, also genau doppelt so viele wie im Vorwinter, aber 14,1 weniger, als in einem Durchschnittswinter (1900 – 1999) zu erwarten gewesen wären (58,1 Frosttage). Eistage gab es immerhin 13, davon allein neun im Februar und diese alle direkt hintereinander. Dies ist aber dennoch weniger als im langjährigen Mittel. In einem durchschnittlichen Winter sind 22,2 Eistage zu erwarten, also 9,2 mehr. In den Morgenstunden des 15.02.21 wurde mit -13,0 Grad die kälteste Temperatur des Winters registriert – was sich gegenüber den Minima der beiden Vorwinter (-3,8 Grad und -7,2 Grad) „geradezu kalt“ ausnimmt. Immerhin wurde die -10-Grad-Hürde an vier Tagen unterschritten – so oft wie seit einigen Jahren nicht mehr. Das Winter-Minimum ist zwar unterdurchschnittlich aber nicht als „extrem“ zu bezeichnen. Ein Dezember-Monat bringt es im Mittelwert der Jahre 1900 – 1999 immerhin auf ein Minimum von -10,4, ein Januar-Monat auf -12,2 und ein Februar-Monat auf -11,0 Grad Celsius.
Sonnenscheinstunden
Die Sonnenscheinbilanz des Winters 2020/21 war mit 180,8 Sonnenscheinstunden etwas schlechter als die Bilanz des Vorwinters (184,5 Stunden) aber doch noch leicht überdurchschnittlich. Der Mittelwert des 20. Jahrhundert liegt hier bei 167,1 Stunden. Der Dezember brachten einen mäßigen Sonnenscheinüberschuss, der Februar dann einen etwas größeren. Der Januar zeigte sich allerdings „trüb“ mit einem Sonnenscheindefizit von 28,8 Stunden gegenüber dem langjährigen Mittelwert.
Dez |
Jan |
Feb |
||
Ds. 1900 - 1999 |
42,4 |
53,0 |
71,7 |
167,1 |
Winter 2020/2021 |
56,5 |
24,2 |
100,1 |
180,8 |
Abweichung |
14,1 |
-28,8 |
28,4 |
13,7 |
Farben: Gelb
= überdurchschnittliche Sonnenscheindauer Grau = unterdurchschnittliche
Sonnenscheindauer
Angaben in Stunden
Niederschlag
Das Niederschlagsaufkommen des Winters 2020/21 war mit einem Gesamtdefizit von 27,9 Millimetern wieder einmal zu gering, das heißt, der zurückliegende Winter war „zu trocken“. Während der Januar und der Februar fast dem Durchschnitt entsprachen, zeigte sich der Dezember aber erheblich „zu trocken“
Dez |
Jan |
Feb |
||
Ds. 1900 - 1999 |
48,8 |
45,0 |
36,7 |
130,5 |
Winter 2020/21 |
19,9 |
45,6 |
36,3 |
101,8 |
Abweichung |
-28,9 |
0,6 |
0,4 |
-27,9 |
Farben: Beige
= unterdurchschnittlicher Niederschlag. Grün
= überdurchschnittlicher Niederschlag
Angaben in Millimeter (mm)
Schneefall
Immerhin - hier ist der Negativtrend gebrochen. Während das Schneeaufkommen in den letzten Jahren stets rückläufig war und der Vorwinter 2019/20 sogar völlig schneefrei geblieben ist, gab es im Winter 2020/21 wieder eine Steigerung. Schnee war allerdings nur im Januar und Februar gefallen. Der Dezember war völlig schneefrei geblieben. Statistisch gesehen üblich (bezogen auf den Mittelwert des 20. Jahrhunderts) wäre eine Schneemenge von 32,2 Zentimetern. Gefallen waren 35 Zentimeter, immerhin ein geringfügiges Überbieten des Durchschnitts. Eine geschlossene Schneedecke von mind. einem Zentimeter Höhe lag an 27 Tagen, in allen drei Wintermonaten hätten es statistisch gesehen allerdings 32,4 Tage sein müssen. Die höchsten Schneedecken wurden am 10.02.21 und am 16.02.21 mit jeweils zwölf Zentimetern gemessen. Immerhin war es das erste Mal seit dem Dezember 2014, dass eine Schneedecke von mindestens zehn Zentimetern Dicke registriert werden konnte. An neun Tagen fiel eine Schneemenge von mindestens einem Zentimeter. In allen drei Wintermonaten wären 10,4 Tage statistisch „normal“ gewesen. Mit dieser Bilanz stellt der Winter 2020/21 einen einigermaßen ausgeglichenen Schneewinter dar. Gegenüber den Wintern der letzten Jahre ist er aber geradezu als „schneereich“ zu bezeichnen.
Schlussbetrachtung
Während des Wintereinbruchs im Februar wurde in den verschiedenen sozialen Netzwerken oftmals die (hoffnungsvolle) Erwartung geäußert, dass die Reihe der extrem milden Winter nun vorbei sein und jetzt wieder eine Periode kälterer Winter eintreten könnte. Diese Erwartung könnte sich durchaus erfüllen. Allerdings ist hier denn noch eine erhebliche Skepsis angebracht, denn es sprechen verschiedene Faktoren dagegen. Denn es ist eine Tatsache, dass die Grundkonstellationen zu Beginn des Winters so günstig waren wie lange nicht und er aufgrund dieser Tatsache noch erheblich kälter hätte ausfallen können. Betrachtet man die Großwetterlage Mitte Dezember 2020, so kann man feststellen, dass zu diesem Zeitpunkt
1. der Kältepol in der Nordhemisphäre über dem zentralen Sibirien und nicht über
Nordkanada lag.
2. die nordatlantische Oszillation (NAO) vergleichsweise niedrig war und auch weiterhin
niedrig prognostiziert wurde.
3. sich über Nordosteuropa bereits größere Mengen Kaltluft angesammelt hatten.
Während des Winters setzten sich diese Trends dann fort und es zeigte sich dann
4. dass sich ein sogenanntes Major-Warming Phänomen einstellen würde,
was dann auch eintrat und zu einer Störung des Polarwirbels führte.
Alle diese Faktoren begünstigen einen Kaltwinter. Je mehr dieser Faktoren gleichzeitig auftreten, desto größer die Wahrscheinlichkeit.
Sie stellen quasi die Rahmenbedingungen eines potentiellen Kaltwinters dar und sie waren so günstig wie seit mehreren Jahren nicht mehr. So kann man festhalten, dass der Winter unter diesen günstigen Bedingungen erheblich strenger hätte ausfallen können (wenn auch nicht müssen). Dennoch blieb es wieder einmal bei einem deutlich übertemperierten Mildwinter. Doch was war die Ursache? Warum kam es nicht zu dem Kaltwinter, der aufgrund der günstigen Voraussetzungen möglich gewesen wäre?
Über die Gründe, warum sich Mitteleuropa in einer permanenten Warmluftströmung befindet, haben wir uns schon in mehreren Artikeln befasst. In dieser konkreten Frage lässt sich die Antwort aber auf einen Punkt reduzieren: Die Warmluft war immer "viel zu nah".
Wie ebenfalls bereits mehrfach erörtert, hat sich in den letzten Jahren eine Verfestigung der südwestlichen Warmluftströmung etabliert. Häufig bildet sich über den Azoren ein Hochdruckgebiet, das dann in östliche Richtung über das Mittelmeer abzieht. An seiner Nordflanke ziehen Tiefausläufer nach Mitteleuropa und beides zusammen führt immer wieder zu einer kraftvollen Warmluftströmung, die über Mitteleuropa immer häufiger zu Rekordtemperaturen führt. Dieses warm temperierte Hochdruckgebiet war fast den ganzen Winter über vorhanden und bewegte sich zwischen den Azoren und der Iberischen Halbinsel hin und her bzw. regenerierte sich immer wieder. So kam es auch zu Warmluftausbrüchen, die teilweise bis in den Südwesten Deutschlands reichten und dort für besonders mildes Wetter sorgten. Der Nordosten Deutschlands gelangte dagegen häufiger in den Bereich der Kaltluftmassen aus Norden und Nordosten. Besonders ausgeprägt war diese Luftmassengrenze dann im Februar, als es im Norden und Nordosten zu einem markanten Kaltlufteinbruch kam, der sich nur sehr zögerlich und schwach bis in den Süden Deutschlands durchsetzen konnte. Diese Wetterlage konnte sich jedoch aufgrund der warmen Luftmassen über dem Mittelmeer nur rund 10 Tage halten und anschließend kam es zu einem extremen Temperatursprung. Es folgte eine Warmphase von rund einer Woche, bei der dann in Deutschland zahlreiche Wärmerekorde für den Monat Februar gemessen wurden. In den letzten Jahren konnte festgestellt werden, dass der subtropische Hochdruckgürtel erheblich nach Norden expandiert ist. Die entsprechenden Strömungsmuster haben sich ebenfalls nach Norden verschoben. Ein deutlich sichtbares Anzeichen für diese Entwicklung ist auch der stetige Anstieg der jährlichen Sonnenscheinstunden. Dies hat aber zur Folge, dass sich Kaltluft über Mitteleuropa immer schwerer durchsetzen kann und die Phasen immer kürzer werden. So kommt es wie in diesem Winter zu der Situation, dass die eigentlich für einen Kaltwinter günstigen Voraussetzungen keineswegs mehr zu einem untertemperierten Winter, sondern durchaus auch zu einem Mildwinter führen können. Hinzu kam auch die Tatsache, dass sich über Mitteleuropa im Dezember und in der ersten Januarhälfte kein Hochdruckgebiet etablieren konnte. Dies ist für die Entstehung von Kaltluft (vor Ort) aber unerlässlich, da windschwache Hochdruckgebiete, kombiniert mit Schnee zu einer Auskühlung der bodennahen Atmosphäre führen. Wenn dann keine Kaltluft aus Nord- oder Osteuropa vorstößt, bleibt es zwangsläufig mild. Durch die Zugbahn der zahlreichen Tiefdruckgebiete von Nord nach Süd hatte sich über Deutschland zeitweilig sogar eine kalte Höhenströmung ausbilden können, doch konnte sich diese kalte Luft bodennah nicht durchsetzen. Das alles änderte sich dann erst Ende Januar mit einem Hochdruckgebiet und Anfang Februar dann mit dem kräftigen Kaltlufteinbruch aus Nordosten. Diese Bilanz lässt es somit als sehr unwahrscheinlich erscheinen, dass wir in den nächsten Jahren wieder mit erheblich kälteren Wintern rechnen können. Immerhin haben wir in den letzten Jahren erlebt, wie mild die Winter werden, wenn die Rahmenbedingungen ungünstig sind (beispielsweise Kaltluft über Nordostkanada liegt und die Tiefdruckaktivität über dem Atlantik angefacht wird). Dies hat vor einem Jahr in Potsdam zu dem zweitmildesten Winter seit Aufzeichnungsbeginn geführt. Nun waren die Umstände günstiger und doch blieb der Winter in weiten Teilen mild. Obgleich ein richtiger Kaltwinter statistisch gesehen mehr als überfällig wäre, erscheint es aus den genannten Gründen wenig wahrscheinlich, dass wir in den nächsten Jahren mit einem richtig kalten Winter oder gar einer längeren Phase untertemperierter Winter zu rechnen hätten.
Markus Seebass
im März 2021