Das Jahr 1996 war das letzte wirklich kalte Jahr in Potsdam

- Ein Rückblick nach 25 Jahren.

 

von Markus Seebass

 

Seit dem Beginn der modernen Klimaerwärmung im Jahre 1989 ist es sowohl in Potsdam als auch in ganz Deutschland (und sogar in ganz Mitteleuropa) zu einer auffälligen Häufung besonders warmer Jahre gekommen. Während es vor 1989 lediglich ein Jahr (1934) mit einem Jahresmittelwert von +10,0 Grad Celsius oder darüber gab, gab es ab 1989 bereits 15 solcher Jahre. Zwölf der Jahre mit einem Mittelwert ab 10,0 Grad lagen im Zeitraum ab der Jahrtausendwende und acht dieser Jahre immerhin im Zeitraum ab dem Jahr 2010. Seit 2018 hat es nunmehr sogar 3 Jahre in Folge gegeben, in denen der Jahresmittelwert bei 11,0 Grad oder darüber lag. Während sich also seit 1989 die ausgesprochen warmen Jahre sehr gehäuft haben, wurden kalte Jahre immer seltener. Nach 1989 lag lediglich das Jahr 1996 mit einem Mittelwert von 7,48 Grad noch unterhalb der 8,0-Grad-Grenze. Jahre mit einer Durchschnittstemperatur von weniger als 8,0 Grad sind ausgesprochen selten und können schon als "sehr kühle Jahre" bezeichnet werden. Seit dem Beginn der Aufzeichnungen auf dem Potsdamer Telegrafenberg im Jahre 1893 gab es 20 solcher Jahre (siehe nachfolgende Tabelle).

 

Tabelle 1   Durchschnittliche Temperaturen der zwanzig kältesten Jahre seit Beginn der Aufzeichnungen in Potsdam

     

Jahr:

Jahresmittelwert:

1895

7,91

1902

7,06

1907

7,97

1908

7,88

1909

7,62

1919

7,66

1922

7,37

1924

7,99

1929

7,93

1940

6,64

1941

7,19

1942

7,54

1956

7,23

1962

7,64

1963

7,85

1969

7,95

1970

7,99

1980

7,78

1987

7,62

1996

7,48

 

 

Auf den Beobachtungszeitraum von 1893 - 1899 entfiel ein solches Jahr. Auf die Zeit zwischen 1900 und 1909 entfielen vier, auf die Zeit zwischen 1910 und 1919 wiederum nur ein solch kühles Jahr. In den 1920er-Jahren gab es wie auch in den 1940er-Jahren jeweils drei solche Jahre, während in den 1930er-Jahren kein einziges Jahr unter 8,0 Grad Celsius temperiert war. In den 1950er-Jahren gab es ein, in den 1960er-Jahren dann wieder drei solcher Jahre. Die 1970er-Jahre brachten nochmals ein kühles Jahr, die 1980er-Jahre zwei und die 1990er Jahre dann das letzte derartig untertemperierte Jahr (1996). Das Jahr 1996 war im Kälte-Ranking das sechstkälteste Jahr am Potsdamer Telegrafenberg seit Beginn der Aufzeichnungen. Doch schauen wir uns das Jahr 1996 einmal genauer an:

 

Teil 1 – Temperatur

Mit einem Jahresmittelwert von 7,48 Grad Celsius wurde der Mittelwert der Jahre 1900 bis 1999 um 1,23 Grad Celsius unterschritten. Einen Kälteüberschuss gab es in acht der zwölf Kalendermonate. Vor dem Hintergrund, dass es in den letzten Jahren zumeist nur noch einen „zu kalten“ Monat gab, ist dies schon bemerkenswert.

 

Tabelle 2   Durchschnittliche Temperaturen der einzelnen Monate im Jahre 1996 und deren        

                   Abweichungen von den Mittelwerten des 20. Jahrhunderts (Grad Celsius)

 

Jahr 1996

Monat

Jan

Feb

März

Apr

Mai

Juni

Juli

Aug

Sept

Okt

Nov

Dez

Ds. Temperatur

-4,34

-2,88

0,80

9,80

12,01

16,37

16,32

18,57

11,34

9,68

4,81

-2,94

Ds. 1900 - 1999

-0,54

0,17

3,63

8,11

13,33

16,47

18,21

17,36

13,81

8,94

3,86

0,71

Abweichung

-3,80

-3,05

-2,83

1,69

-1,32

-0,10

-1,89

1,21

-2,47

0,74

0,95

-3,65

 

Farben: Rosa = überdurchschnittlich temperiert.  Blau = unterdurchschnittlich temperiert.

 

Lediglich die Monate April und August waren mit einem Wärmeüberschuss von 1,69 bzw. 1,21 Grad Celsius nennenswert übertemperiert. Dem standen mit den Monaten Januar, Februar, März, September und Dezember jedoch fünf Monate mit einem erheblichen, teilweise extrem hohen Kälteüberschuss von mindestens 2,0 Grad gegenüber (3,80 Grad, 3,05 Grad, 2,83 Grad, 2,47 Grad und 3,65 Grad).

Kälterekorde wurden bei den monatlichen Durchschnittswerten jedoch keine gebrochen. Der

Januar war im Kälte-Ranking seinerzeit auf Platz 10, der Dezember auf Platz 8. Beide Monate sind allerdings durch den Januar- und den Dezember-Monat des Jahres 2010 zwischenzeitlich im Ranking noch um jeweils einen Platz abgerutscht.

 

Teil 2 – Temperaturereignisse

Im Jahre 1996 wurden 132 Frosttage (Tage mit einem Temperaturminimum von unter 0,0 Grad C.) registriert. Das ist bis heute ein Rekordwert, mit dem auch der seinerzeit 101 Jahre alte Rekord aus dem Jahre 1895 (130 Frosttage) noch um zwei Tage überschritten wurde. Im bisher kältesten Jahr 1940 wurden 125 Frosttage registriert, gefolgt von 1969 mit 124 Frosttagen. Nach dem Mittelwert der Jahre 1900 – 1999 ist pro Jahr mit 91,5 Frosttagen zu rechnen. Es wurden 49 Eistage (Tage mit einem Temperaturmaximum von unter 0,0 Grad C.) registriert. Das ist ebenfalls ein hoher Wert, aber kein Rekord. Noch mehr Eistage gab es im Jahre 1895 (57 Eistage), 1917 (50 Eistage), 1929 (58 Eistage), 1940 (61 Eistage), 1942 (52 Eistage) und 1947 (57 Eistage) sowie in den Jahren 1963 (65 Eistage), 1969 (52 Eistage) und 2010 (61 Eistage). Im Eistage-Ranking aller Kalenderjahre belegt das Jahr 1996 somit den zehnten Platz. Das Jahr 1963 hält bis heute mit 65 Eistagen den Rekord. In einem durchschnittlichen Jahr ist hingegen nur mit 24,9 Eistagen zu rechnen – also in etwa der Hälfte der Anzahl von 1996.

Die kälteste Temperatur des Jahres lag bei -17,7 Grad und wurde Ende Dezember, kurz vor der Jahreswende registriert. Starkfrost (Tagestiefstwert von -10,0 Grad C. oder darunter) trat an 20 Tagen auf, 10,2 mehr als im Mittel üblich (9,8 Tage). In Rekordnähe liegt diese Zahl aber nicht. In den Jahren 1947 und 1963 wurden sogar jeweils 40 solche Tage registriert. Tage, an denen die Temperatur von -10,0 Grad C. nicht überschritten wurde, gab es einen. In dieser Disziplin hält das Jahr 1940 mit zehn solcher Tage den Rekord. Temperaturen von -20,0 Grad oder darunter wurden keine gemessen

 

Teil 3 – Kältesumme

Im Kalenderjahr 1996 lag die Kältesumme bei 372,3 Grad. Als Kältesumme versteht man die Summe aller durchschnittlichen negativen Tagesdurchschnittstemperaturen. Kalenderjahre mit einer Kältesumme von mehr als 300,00 Grad sind äußerst selten. Seit dem Beginn der Aufzeichnungen im Jahre 1893 wurden in 18 Jahren solch hohe Kältesummen gezählt.

Im Ranking der Kältesummen liegt das Jahr 1996 auf dem zehnten Platz.

 

Tabelle 3   Die Jahre mit einer Kältesumme von 300,00 Grad oder darüber.

 

 

Jahr:

Kältesumme

1893

326,90

1895

388,20

1901

312,80

1917

370,60

1929

510,10

1933

331,00

1940

667,60

1941

342,40

1942

486,70

1947

506,80

1954

331,90

1956

410,70

1963

538,10

1969

397,70

1985

358,90

1987

382,40

1996

372,30

2010

370,35

 

Die niedrigste Kältesumme in einem Jahr wurde im Jahre 2020 mit 5,5 Grad gezählt. In einem durchschnittlichen Jahr sind 187,15 Grad zu erwarten. Im Jahre 1996 hat sich die Kältesumme einigermaßen gleichmäßig auf die Monate Januar, Februar und Dezember verteilt.

 

Teil 4 – Niederschlag

Mit 446,0 Millimetern war das Jahr 1996 ein ausgesprochen trockenes Jahr. Durchschnittlich sind pro Jahr 587,3 Millimeter Niederschlag zu erwarten. Im negativen Niederschlagsranking belegt es ebenfalls den zehnten Platz. Acht der zwölf Monate waren zum Teil deutlich zu trocken wie z. B. der Januar, der April, der August und der Dezember. Lediglich der Monat Mai brachte mit 89,5 Millimetern Niederschlag einen nennenswerten Überschuss „an Nässe“. Er war auch gleichzeitig der niederschlagsreichte Monat des Jahres.

 

Tabelle 2    Niederschläge der einzelnen Monate im Jahre 1996 und deren Abweichungen             

                   von den Mittelwerten des 20. Jahrhunderts (mm.)

 

Jahr 1996

Monat

Jan

Feb

März

Apr

Mai

Juni

Juli

Aug

Sept

Okt

Nov

Dez

Niederschlag

0,5

41,2

18,6

13,2

89,5

30,7

66,9

37,8

37,2

56,1

40,7

13,6

Ds. 1900 - 1999

45,0

36,7

35,9

42,5

51,5

64,1

66,5

64,2

45,2

42,0

45,0

48,8

Abweichung

-44,5

4,5

-17,3

-29,3

38,0

-33,4

0,4

-26,4

-8,0

14,1

-4,3

-35,2

 

 

Farben: beige = unterdurchschnittlicher Niederschlag.  Grün = überdurchschnittlicher Niederschlag.

 

Teil 5 – Sonnenschein

Im Jahre 1996 schien die Sonne an 1621,1 Stunden. Das sind 94,5 Stunden weniger als der Mittelwert der Jahre 1900 – 1999 (1715,6 Stunden). Damit gehört das Jahr 1996 zu den sonnenscheinarmen, aber nicht zu den extrem „trüben“ Jahren. Besonders defizitär zeigte sich die Sonne im Mai, als mit 124,1 Stunden gerade einmal gut die Hälfte der durchschnittlichen Sonnenstunden gemessen werden konnten. In den Monaten Juni, Juli und von September bis November schien die Sonne aus statistischer Sicht ebenfalls zu wenig, doch war der Rückstand moderat bis mäßig. Wirklich sonnenscheinreich war mit 227,7 Stunden lediglich der April, der damit das statistische Soll um 56,5 Stunden überschritten hatte und der zweitsonnenscheinreichste Monat des gesamten Jahres war (nach dem August mit 245,6 Stunden). In den übrigen Monaten kam es lediglich zu einem leichten, im August zu einem mäßigen Sonnenüberschuss.

 

Tabelle 3    Sonnenscheinstunden der einzelnen Monate im Jahre 1996 und deren

                   Abweichungen von den Mittelwerten des 20. Jahrhunderts (h)

 

Jahr 1996

 

Monat

Jan

Feb

März

Apr

Mai

Juni

Juli

Aug

Sept

Okt

Nov

Dez

Sonnenscheinstd.

58,2

88,4

135,6

227,7

124,1

210,8

197,1

245,6

136,4

102,9

30,4

63,9

Ds. 1900 - 1999

53,0

71,7

130,3

171,2

231,1

232,7

233,0

213,3

167,4

115,0

54,4

42,4

Abweichung

5,2

16,7

5,3

56,5

-107,0

-21,9

-35,9

32,3

-31,0

-12,1

-24,0

21,5

 

Farben: grau = unterdurchschnittliche Sonnenscheinstunden.  gelb = überdurchschnittliche Sonnenscheinstunden.

 

Teil 6 – Schneefall

Trotz der beiden kalten Winter, mit denen das Jahr 1996 begann und endete, blieb es aufgrund der ausgeprägten Trockenheit auch vergleichsweise schneearm. Mit einer Schneesumme von 54 Zentimetern lag es nur elf Zentimeter über dem hundertjährigen Mittelwert (43,0 Zentimeter). An 17 Tagen fielen mindestens einen Zentimeter Schnee – normal wären 13,8 Tage. Eine geschlossene Schneedecke von mind. einem Zentimeter lag an 46 Tagen, mindestens zehn Zentimeter sogar nur an sechs Tage. Im Durchschnitt wäre eine Schneedecke von einem Zentimeter an 40,3 und von zehn Zentimetern an 12,3 Tagen zu erwarten. Bei letzterer Kategorie blieb das Jahr 1996 somit sogar unterdurchschnittlich.

 

Schlussbetrachtung

Kann es ein solch unterkühltes Jahr wie das Jahr 1996 heute noch geben? Die Antwort lautet ganz klar: Ja. Es müssten dazu allerdings einige Voraussetzungen vorliegen bzw. eintreten. Es müsste ein kalter langer (möglichst bis März) Winter auftreten, gefolgt von bestenfalls einem mäßig warmen Sommer. Ein solches Jahr müsste auch mit einem sehr kalten Dezember enden, was also heißt, dass zwei sehr kalte Winter aufeinander folgen müssten. Ebenfalls dürfte es keine herausragenden übertemperierten Monate in den Übergangsjahreszeiten geben. Aufgrund der Temperaturentwicklungen in den letzten Jahren ist diese Konstellation allerdings sehr unwahrscheinlich geworden. In mehreren Artikeln sind wir inzwischen auf das Phänomen eingegangen, dass das frühere Wechselspiel von zu warmen und zu kalten Monate inzwischen von einer Phase ständiger Dauerwärme abgelöst worden ist, in der inzwischen fast alle Monate leicht, mäßig, oder auch stark übertemperiert ausfallen. Daher hat es seit 1996 kein kühles Jahr mehr gegeben. Und nicht nur das - es hat lediglich nur noch ein einziges Jahr gegeben, welches überhaupt untertemperiert ausgefallen war (gemessen am Mittelwert des 20 Jahrhunderts). Das war das Jahr 2010 mit 8,37 Grad, das also lediglich 0,34 Grad unter dem hundertjährigen Mittelwert (8,71 Grad) lag. Vor diesem Hintergrund erscheint die Wiederholung eines solch kühlen Jahres in Zeiten der modernen Klimaerwärmung zwar nicht unmöglich aber doch sehr unrealistisch. Schon eine geringfügige Unterschreitung des Jahresmittelwertes wäre aus heutiger Sicht eine Seltenheit und somit in Deutschland eine Sensation.

 

Markus Seebass

im September 2021

 

Achtung:

Der Jahressteckbrief 1996 beinhaltet das für diesen Artikel relevante Datenmaterial.

http://www.das-klima-in-potsdam.de/Jahressteckbrief%20%201996%20%20Potsdam-Telegraphenberg.pdf