Der Winter 2021/22
Es gibt noch kalte Winterluft, doch sie findet nicht mehr den Weg nach Mitteleuropa
von Markus Seebass
Mit einer Durchschnittstemperatur von 3,26 Grad war der vergangene Winter wieder wesentlich milder als der vorangegangene Winter 2020/21 (1,49 Grad). Somit war dieser Winter um 3,15 Grad wärmer als ein Durchschnitts-Winter des 20. Jahrhunderts. Gegenüber einem durchschnittlichen Winter der Jahre 1961 - 1990 betrug der Wärmeüberschuss sogar 3,23 Grad, gegenüber einem Durchschnitts-Winter der Jahre 1991 - 2020 jedoch nur 1,91 Grad Celsius. Der zurückliegende Winter in Potsdam liegt somit im Wärme-Ranking auf dem neunten Platz. Damit ist er der elfte Winter in Folge, der verglichen mit den Mittelwerten der Jahre 1900 - 1999 und 1961 - 1990 übertemperiert war. Legt man den Durchschnittswert der Jahre 1991 - 2020 an, waren rückblickend noch die Winter 2012/13 und 2016/17 moderat untertemperiert ausgefallen. Alle anderen Winter nach dem Winter 2010/2011 sind sogar wärmer ausgefallen als ein Durchschnittswinter des neuen Referenzzeitraums. Der milde Verlauf des Winters war jedoch vielfach anders prognostiziert worden. Tatsächlich sah es für einen kälteren Winter im Herbst gar nicht einmal so schlecht aus. Die nordatlantische Oszillation (NOA) wurde niedrig berechnet und der Kältepol der Nordhalbkugel befand sich im nördlichen Zentralsibirien auf der eurasischen Festlandsplatte. Der Polarwirbel zeigte sich ebenfalls nur mäßig stark entwickelt. Diese Kriterien gelten im Allgemeinen als günstig für einen kälteren Witterungsverlauf im Winter in Mitteleuropa. So gestaltete sich der Dezember zumeist nasskalt, doch außer im Bergland konnte sich nur im Nordosten Deutschlands in den Tagen um Weihnachten eine kurze kalte Phase etablieren. Ein Hochdruckgebiet über den Azoren keilte immer wieder nach Norden aus, was einen kalten Winter normalerweise begünstigt. Allerdings war das Hochdruckgebiet immer zu nahe an Mitteleuropa, sodass sich eine nasskalte Nordwestströmung einstellte, die längere Zeit anhielt. Zur Jahreswende hin kippte dann die Situation. Ein starkes Hochdruckgebiet, in der Presse auch als "Betonhoch" bezeichnet, bildete sich über dem Mittelmeerraum und dehnte sich nach Norden über Deutschland aus. Damit wurden sehr warme Luftmassen herangeführt. Dieses Hochdruckgebiet wanderte mit der Zeit nach Nordwesten und keilte schließlich ebenfalls in Richtung Island aus, wodurch sich Mitte Januar wieder die nasskalte Wetterlage des Dezembers einstellte. Anfang Februar brach dann die klassische Westwetterlage mit Tiefdruckgebieten durch, die über Island nach Mitteleuropa strömten. Diese Westdrift, verursacht durch Kaltluftmassen über dem Nordosten Kanadas, kam für viele Meteorologen unerwartet, da sie sich bereits seit knapp zwei Jahren nicht mehr eingestellt hatte. Mit ihr kam dann der klassische Mildwinter nach Mitteleuropa zurück, der beispielsweise im gesamten Winter 2019/20 dominierend war. Diese Wetterlage dauerte dann bis Ende Februar an und brachte schließlich sogar mehrere heftige Sturmlagen innerhalb weniger Tage hervor. Doch nicht nur in Potsdam, auch im übrigen Deutschland blieb der Winter deutlich zu mild, allerdings gab es, wie in den letzten Jahren bereits häufiger, ein relatives Nord-Süd-Gefälle der Temperatur. Das bedeutet, dass die positiven Temperaturabweichungen in Süddeutschland weit weniger ausgeprägt waren als in Norddeutschland. Ursächlich dafür war verstärkter Hochdruckeinfluss im Süden Deutschlands, der zumindest in den Nächten häufiger Frost brachte und vielfach für eine bodennahe Auskühlung sorgte.
Temperatur
Alle drei Wintermonate waren deutlich zu mild ausgefallen. Während der Wärmeüberschuss im Dezember mit 1,09 Grad (verglichen mit dem Mittelwert des 20 Jahrhunderts) noch vergleichsweise moderat ausgefallen war, steigerte er sich im Januar auf 3,82 Grad und im Februar sogar auf 4,67 Grad Celsius. Die Kältesumme, also die Summe aller negativen Durchschnittswerte der Kalendertage lag bei 28,8 Grad. Das ist ein starker Rückgang gegenüber der des Vorwinters 2020/21 (91,9 Grad). Im Durchschnitt wären in allen drei Wintermonaten zusammengenommen 164,8 Grad zu erwarten gewesen. Die Anzahl der Frosttage belief sich auf 31, im Durchschnitt wären 58,1 Frosttage zu erwarten gewesen. Es gab sechs Eistage, von denen bereits fünf im Dezember aufgetreten waren. Im Durchschnitt sind in einem Winter (Dezember - Februar) in Potsdam 22,2 Eistage zu erwarten. Am 2. Weihnachtsfeiertag wurde mit -10,0 Grad die kälteste Temperatur des Winters gemessen. Für Dezember entspricht das fast dem Durchschnitt einer Minimaltemperatur (-10,4 Grad), für den durchschnittlichen Minimalwert eines Gesamtwinters ist das jedoch vergleichsweise mild (-12,2 Grad im Januar).
Dez |
Jan |
Feb |
||
Ds. 1900 - 1999 |
0,71 |
-0,54 |
0,17 |
0,11 |
Winter 2021/2022 |
1,80 |
3,28 |
4,84 |
3,26 |
Abweichung |
1,09 |
3,82 |
4,67 |
3,15 |
Farben: Rosa = überdurchschnittlich temperiert. Blau =
unterdurchschnittlich temperiert
Angaben in Grad Celsius
Sonnenscheinstunden
Im Winter 2021/22 wurden 145,9 Sonnenscheinstunden registriert. Verglichen mit dem Durchschnittswert der Jahre 1900 - 1999 (167,1 Stunden) war der Winter somit geringfügig "zu trüb". Alle drei Wintermonate hatten ein Sonnenscheindefizit aufzuweisen, der Dezember und der Februar ein nur sehr geringfügiges, der Januar mit 36,5 Stunden ein etwas stärkeres (Durchschnitt 53,0 Stunden).
Dez |
Jan |
Feb |
||
Ds. 1900 - 1999 |
42,4 |
53,0 |
71,7 |
167,1 |
Winter
2021/2022 |
40,1 |
36,5 |
69,3 |
145,9 |
Abweichung |
-2,3 |
-16,5 |
-2,4 |
-21,2 |
Farben: Gelb
= überdurchschnittliche Sonnenscheindauer.
Grau = unterdurchschnittliche Sonnenscheindauer
Angaben in Stunden
Niederschlag
In den Monaten Dezember bis Februar wurden 120,0 mm Niederschlag registriert, das sind 10,5 mm weniger als in einem Durchschnittswinter der Jahre 1900 - 1999 zu erwarten gewesen wären. Der Dezember war geringfügig "zu trocken", der Februar geringfügig "zu feucht". Im Januar war das Niederschlagsdefizit mit 14 Millimetern etwas größer. Allerdings wurde an 61 Tagen Niederschlag (in Höhe von mindestens 0,1 mm) gemessen. Normal wären 51 Niederschlagstage gewesen, also zehn weniger.
Dez |
Jan |
Feb |
||
Ds. 1900 - 1999 |
48,8 |
45,0 |
36,7 |
130,5 |
Winter
2021/22 |
44,3 |
31,0 |
44,7 |
120,0 |
Abweichung |
-4,5 |
-14,0 |
8,0 |
-10,5 |
Farben: Beige
= unterdurchschnittlicher Niederschlag. Grün
= überdurchschnittlicher Niederschlag
Angaben in Millimeter (mm)
Schneefall
Während im vorangegangenen Winter 2020/21 endlich wieder einmal in nennenswertem Umfang Schnee gefallen war, war der zurückliegende Winter ähnlich wie bereits andere in den letzten Jahren sehr schneearm geblieben. Gefallen waren sechs Zentimeter Schnee, gemessen am Durchschnittswert von 32,2 cm sehr wenig. Die höchsten Schneedecken wurden am 5. und am 10. Dezember mit jeweils zwei Zentimetern Höhe registriert. Eine Schneedecke von mindestens einem Zentimeter wurde an sechs Tagen registriert, 32,4 Tage hätten es statistisch sein sollen. Ein Schneezuwachs von mindestens einem Zentimeter am Tag (gemessen an der Schneehöhe des Vortages) wurde an vier Tagen registriert, zwei im Dezember und zwei im Januar. Normal gewesen wären 10,4 Tage mit einem solchen Schneezuwachs.
Schlussbetrachtung
Es ist wohl nicht nur der modernen Klimaerwärmung, sondern auch einer ordentlichen Portion "Pech" geschuldet, dass der Winter in weiten Teilen Deutschlands diesmal erneut völlig ausgeblieben ist. Große Teile Norddeutschlands, Westdeutschlands und auch die Rhein-Main- und Rhein-Neckar-Großräume Süddeutschlands sind wieder einmal völlig schneefrei und ohne jeden Wintereinbruch geblieben. Wie bereits erwähnt, war die Grundkonstellation für einen Kaltwinter im Herbst durchaus noch günstig, doch zur Jahreswende "kippte" die Großwetterlage in Richtung "mild". Da Großwetterlagen heutzutage eine erheblich längere Lebensdauer aufzuweisen haben, blieb diese dann bis Anfang Februar bestehen, um dann von der klassischen Westdrift abgelöst zu werden, die beispielsweise auch im Winter 2019/20 dominiert hatte und üblicherweise noch mildere Luft mit sich bringt. Das "Pech" (aus Sicht der Winterfreunde) bestand darin, dass das blockierende Hochdruckgebiet, welches die Westdrift im Dezember und teilweise auch im Januar verhindert hat, stets zu dicht an Mitteleuropa positioniert war. Somit reichte es nur für nasskalte Nordwest-Wetterlagen aber für keine nachhaltigen Winterluftvorstöße aus Russland oder Skandinavien. Dazu hätte sich das Hoch weiter westlich über dem Atlantik befinden und die Dynamik der sibirischen Kaltluftmassen stärker ausfallen müssen. Bereits wenige 100 Kilometer östlich gab es erheblich mehr Schneefälle und kältere Temperaturen. Allerdings war auch in Osteuropa wie beispielsweise im europäischen Teil Russlands der Winter längst nicht so kalt, wie er im Durchschnitt hätte sein müssen. In Moskau lagen die Durchschnittswerte der Wintermonate etwa drei bis vier Grad über den langjährigen Mittelwerten. Es ist auch zu beobachten, dass sich der subtropische Hochdruckgürtel in den letzten Jahren erheblich nach Norden ausgeweitet hat. Ein solches Mittelmeerhoch hat zur Jahreswende die zaghaften Kaltluftvorstöße ausgebremst und für erhebliche Wärmeüberschüsse gesorgt. Eine ähnliche Situation hatte im Winter letzten Jahres Mitte Februar die kurze zweiwöchige Kaltphase beendet und ebenfalls sehr milde Temperaturen gebracht. Somit kann selbst bei günstigen Voraussetzungen im Herbst für einen Kaltwinter nicht mehr von einem tatsächlichen Eintritt eines solchen Winters ausgegangen werden. Im Gegensatz zu der Zeit vor der modernen Klimaerwärmung (in Mitteleuropa vor 1989) gibt es inzwischen zu viele Faktoren, die eine günstige Großwetterlage in Richtung "mild" kippen lassen können. So war es in diesem Winter und in abgeschwächter Form auch im vorangegangenen. Dies schließt Kaltwinter für die Zukunft nicht völlig aus, macht sie aber wesentlich unwahrscheinlicher. Dies gilt zumindest solange, wie die derzeitigen Strömungsmuster und der Jetstream in ihrem Verlauf erhalten bleiben. Selbst bei einer meridionalen Großwetterlage, die wir seit dem Frühjahr 2019 überwiegend hatten, stehen die Zeichen eher auf warm, weil sich Deutschland gehäuft in einer Südwest- bis Nordost-Strömung und nicht in einer Nordwest- bis Südost-Strömung befindet. Diese Tatsache ist einer dominierenden Strömungsbahn des Jetstreams geschuldet, die seit einigen Jahren häufig besteht und tendenziell zu Temperaturüberschüssen und nicht zu -defiziten in Mitteleuropa führt. Im Ergebnis können dann auch sehr kurios anmutende Witterungsereignisse dabei herauskommen. So hat es in Städten des östlichen Mittelmeerraums und des Nahen Ostens wie Istanbul, Athen, Amman und Jerusalem in diesem Winter deutlich mehr Schnee gegeben als in weiten Teilen Nord- und Westdeutschlands. Da der Jetstream derzeit sehr stabil ist, muss für das Jahr 2022 leider auch wieder von einem sehr warmen Jahr ausgegangen werden. Die Langzeitprognosen - sowohl des amerikanischen als auch des europäischen Wetterdienstes - sagen jedenfalls für die kommenden Monate erhebliche Wärmeüberschüsse für Deutschland voraus.
Markus Seebass
im März 2022
Abb. 1
Abb. 2
Gerade in den Wintermonaten hat sich die
durchschnittliche Temperaturverteilung innerhalb Deutschlands erheblich
verschoben. Während noch bis in die 1980er-Jahre ein West-Ost-Gefälle bei den
Temperaturen vorherrschte (Abb. 1), tendiert die Großwetterlage heute oftmals
zu Nord-Süd-Gefällen (Abb. 2). Die Ursache liegt darin, dass der Süden häufiger
unter Hochdruckeinfluss liegt, was die nächtliche Auskühlung begünstigt und
zumindest häufiger Nachtfröste bringt.
Abb. 3
Abb. 3 zeigt eine für die Zeit des
Klimawandels typisch gewordene Temperaturverteilung in Europa. Der Jetstream
bringt oftmals Warmluftmassen von Südwesten nach Nordosten, besonders in
meridionalisierten Phasen. Umgekehrt werden die Türkei und der Nahe Osten
häufiger von kühleren Luftmassen aus Nordwesten erfasst. Die Temperaturen sind seit
Beginn der modernen Klimaerwärmung in Europa überall angestiegen, in Mittel-,
Ost- und Nordeuropa aber bei weitem stärker als im Nahen Osten oder Teilen der
Mittelmeerregion. (Grafik: NOAA-Prognose für März 2022 vom 03.03.22).